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Frost

Frost

Titel: Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Rector
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Strand. Er konnte mich nicht sehen. Als ich bei ihm angekommen war, kniete ich mich hin und berührte seinen Arm.
    Der Junge wandte sich um und schaute mich an.
    Ich hatte Mühe, ein Wort herauszubringen.
    «Vincent?»
    Aber es war nicht Vincent.
    Der Junge schaute wieder in die Dünen. Ich folgte seinem Blick, aber alles, was ich sah, war Sand.
    «Was siehst du denn da?»
    Er hob eine Hand und zeigte auf etwas.
    Erst konnte ich nichts erkennen, aber dann sah ich sie.
    Die Dünen bewegten sich, Tausende winzig kleine Schildkröten krabbelten auf ihnen herum, jede einzelne torkelte im Mondlicht auf das Meer zu.
    Ich trat einen Schritt zurück und sah dabei zu, wie sie sich durch den Strand kämpften, bis sie das Wasser erreichten, und dann trugen sie die Wellen fort, eine nach der anderen.
    Tränen liefen mir das Gesicht hinunter. Eine kleine Hand berührte meinen Arm.
    Als ich hinuntersah, war der Junge verschwunden.
    ***
    Als ich die Augen öffnete, wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Ich setzte mich vorsichtig auf und wartete, bis das Rauschen in meinen Ohren nachließ. Dann sah ich, dass Sara nicht im Bett lag.
    Ich schaute auf die Uhr.
    Drei Uhr morgens.
    Ich schlug die Bettdecke zurück, stand auf und ging ins Wohnzimmer. In der Wohnung war es stockdunkel. Nur ein schmaler Lichtstreifen drang unter der Badezimmertür hervor.
    In der Küche schenkte ich mir ein Glas Wasser ein und trank es in kleinen Schlucken. Der Traum war so lebendig gewesen, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr entglitt er mir.
    Ich stellte das Glas ins Spülbecken und ging wieder ins Schlafzimmer. An der Badezimmertür blieb ich stehen und drückte das Ohr gegen das Holz.
    Sara weinte.
    Ich klopfte sanft.
    Keine Antwort.
    «Sara?»
    «Nate?»
    Ihre Stimme klang dünn und schwach, und ich spürte, wie etwas Kaltes meinen Nacken herabkroch.
    «Alles okay bei dir?»
    «Nein», sagte sie. «Etwas stimmt hier nicht.»
    Ich griff nach der Klinke und öffnete die Tür.
    Sara saß auf der Toilette. In dem erbarmungslosen Neonlicht konnte ich jede einzelne ihrer Rippen erkennen. Sie schaute zu mir hoch. Ihre Augen waren feucht und ganz geschwollen.
    «Sara?»
    Sie hielt mir ihre Hände entgegen. Da sah ich das Blut.
    «Ich blute.»
    Eine Sekunde lang bebte ihr ganzer Körper, dann kamen die Tränen.
    «O Gott, Nate. Ich blute.»

42
    Ich saß im Wartezimmer, bis die Krankenschwester herauskam und sagte: «Sie können jetzt hineingehen, wenn Sie wollen.» Ich folgte ihr einen leeren weißen Gang entlang bis zu einer Tür, über dem «Aufwachraum» stand. «Sie ist allein», sagte die Schwester. Ich öffnete die Tür.
    Sara saß in einem Bett mit hochgestellter Rückenlehne und schaute in ein dunkles Fenster. Als sie mich sah, versuchte sie zu lächeln.
    «Wie fühlst du dich?»
    «Traurig», sagte sie. «Es tut mir so leid.»
    Ich setzte mich neben sie und sagte, dass ihr nichts leidtun müsse. Zuerst schien es sie zu trösten, aber dann glitten ihre Augen wieder zum Fenster.
    «Was hat der Arzt gesagt?»
    «Dass ich mich nicht entmutigen lassen soll, dass das manchmal passiert, besonders beim ersten Mal.»
    «Aber es geht dir gut?»
    «Ich will nach Hause», sagte sie. «Aber es geht mir gut.»
    Ihre Kleider lagen gefaltet auf einem roten Plastikstuhl neben dem Bett. Ich nahm sie und legte sie neben sie.
    «Dann zieh dich an. Ich bring dich nach Hause.»
    Sie starrte den Kleiderhaufen an und schaute dann zu mir hoch. «Nein, ich meine, ich will nach
Hause
. Ich will zurück nach Minnesota.»
    Ich schwieg.
    «Ich will hier nicht mehr sein», sagte sie. «Jetzt schon gar nicht mehr.»
    «Können wir darüber reden?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Und was ist mit uns? Wir wollten heiraten.»
    «Willst du mich etwa immer noch heiraten?»
    Ich nickte.
    «Wir könnten ein schönes Leben zusammen haben.»
    «Wir können auch in Minnesota ein schönes Leben haben.»
    Ich schüttelte den Kopf. «Ich kann nicht zurück.»
    Sie fing an zu diskutieren, aber ich hörte kein einziges ihrer Worte. Ich konnte nur noch an die Winter in Minnesota denken. Allein der Gedanke daran, von all dem Schnee umgeben zu sein, drückte mir die Luft ab.
    «Alles okay?»
    «Ja», log ich.
    Sara sah mich einen Moment an, dann glitt sie aus dem Bett und zog sich an. Wir schwiegen beide, bis wir im Auto saßen und unterwegs in die Wohnung waren.
    «Ich hasse es hier», sagte sie. «Alles ist tot.»
    ***
    Die nächsten zwei Tage waren schwierig für uns beide. Ich musste Sara

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