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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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erneut hinaus.
    Das Lager lag im kalten blauen Sternenlicht wie ausgestorben da. Ich konnte niemanden in der Nähe entdecken, aber das musste noch lange nicht bedeuten, dass niemand da war – es war einfach zu dunkel, um sicher zu sein. Aber ich konnte nicht länger warten. Ich musste noch vor Sonnenaufgang den größtmöglichen Abstand zwischen mich und diese Menschen legen.
    Ich nahm den Wasserschlauch und die Decke und schob sie durch das Loch. Danach legte ich mich flach auf den Boden, drückte Bauch und Schultern nach unten und drehte den Kopf zur Seite. Die rauen Holzplanken rissen Haare aus meinem Zopf und zerkratzten mir Ohr und Wange, als ich mich durch den Spalt vorarbeitete. Ich spürte, wie die Nähte meines Hemdes auf dem Rücken spannten. Mir war übel von dem Gefühl, die Wand würde mich niederdrücken und mich in der Erde gefangen halten. Ich holte tief Luft, machte mich so dünn ich konnte – und quetschte mich auf der anderen Seite hinaus.
    Ich blieb mit dem Gesicht nach unten in der schmutzigen Kuhle liegen, die ich gegraben hatte, bis die Panik nachließ und mein Herz sich ein wenig beruhigte. Dann rappelte ich mich auf und blickte mich geduckt um.
    Ich konnte mein Glück nicht fassen. Meine Zelle befand sich am Ende einer langen, einstöckigen Baracke und direkt dahinter erhob sich ein flacher Hügel, der mit struppigem Gras, Unkraut und Büschen bewachsen war. Ich konnte blitzschnell aus dem Lager verschwinden und mich sofort verstecken. Ich legte die Decke über eine Schulter, schob den Riemen des Wasserschlauchs quer über den Körper, um sie festzuhalten, und schlich den Abhang hinauf.
    Auf halber Höhe hörte ich das Rauschen von Wasser. Ich verlor den Mut. Als ich die Hügelkuppe erreichte, war klar, warum man das Gefängnis an dieser Stelle gebaut hatte. Es war überhaupt kein Hügel. Es war der Rand einer Schlucht.
    Der Fluss schlängelte sich am Fuße einer steilen, fast fünfzehn Meter abfallenden Felswand entlang. Die Bäume auf der anderen Seite der Schlucht hätten ebenso gut hundert Kilometer weit weg sein können.
    Wenn ich entkommen wollte, musste ich die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Und es war sinnlos, im Bogen um das Lager zu schleichen – denn dort wären die Wachen postiert.
    Ich musste quer über den Lagerplatz.
    Die eisigen Augen des Ziegenhirten kamen mir in den Sinn und seine Hand, die den Schwertgriff umklammerte. Ich begann zu zittern. Wenn er mich bei der Flucht erwischte, hatte er jede Ausrede, die er brauchte. Ich wäre tot, bevor der Wolf sich überhaupt regen konnte.
    Dann sorge dafür, dass er dich nicht erwischt, sagte ich mir, als ich den Abhang wieder hinunterschlich. Ich duckte mich in den Schutz der Gefängniswand und schätzte die Entfernung zum nächsten Zelt ab. Und hör auf, Zeit zu vergeuden. Ich holte tief Luft und rannte geradewegs auf das Zelt zu. Sobald ich es erreicht hatte, ging ich mit wild klopfendem Herzen in die Hocke. Keine Schreie. Keine Pfeile. So weit alles gut.
    Das Schwappen des Wasserschlauchs kam mir ohrenbetäubend laut vor, als ich mich von Schatten zu Schatten bewegte, im Zickzack durch den äußeren Ring von Zelten. Nur dank des hellen Sternenlichts stolperte ich nicht über Zeltpflöcke und herumstehende Hocker, Waschzuber und erkaltete Kochstellen. Allerdings würde mich dieselbe Helligkeit auch sofort verraten, falls zufällig jemand in meine Richtung sah.
    Als ich den Rand des Lagers erreichte, kauerte ich mich an die Seite eines kleinen Zeltes und hielt einen Moment inne, um Luft zu holen. Hinter dem Zelt lag eine freie Fläche, die zum Wald hin leicht anstieg. Ich musste es durch diese Leere schaffen, um zu entkommen. Allerdings brauchte es nur einen Wachposten, der im falschen Moment aufsah und –
    Als ich mir die Pfeile vorstellte, die sich in meinen Rücken bohren würden, überlief mich erneut ein Schauder.
    Ich lauschte angestrengt auf Geräusche aus dem Lager. Wann immer ich in Uskaand Soldatentrupps gesehen hatte, waren es lärmende, raubeinige Männer gewesen, die bei jeder Gelegenheit schrien, fluchten und herumkrakeelten. In diesem Lager herrschte im Vergleich dazu unheimliche Stille. Soweit ich sehen konnte, brannte nicht einmal Licht vor einem dieser Zelte.
    Genug gezögert, ermahnte ich mich. Los. Jetzt!
    Meine Muskeln spannten sich, bereit für die letzte Anstrengung, die noch notwendig war, um zu entkommen. Doch statt loszurennen, blieb ich wie angewurzelt stehen.
    Jemand sang. Die tiefe, warme

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