Frostblüte (German Edition)
Betten, damit sie bezeugten, dass ich wie eine Wölfin geheult und Schaum vor dem Mund gehabt hatte und in meinen Augen ein unheimliches Leuchten – und dass ich grundlos angegriffen und versucht hatte ihnen die Kehle durchzubeißen. Sie befragten auch meine Mutter. Hatte es schon früher Anzeichen gegeben, dass ich besessen war? Hatte ich jemals fremdartige Sprachen gesprochen oder Gotteslästerliches von mir gegeben, Verlangen nach rohem Fleisch gezeigt?
Ma verneinte alles, doch ich hörte ihren Stimmen an, dass sie ihr nicht glaubten.
Sie machten eine Pause, um zu Mittag zu essen. Die Gerüche von siedendem Fleisch und Gemüse hätten mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen sollen, doch mein Mund war sogar dafür zu trocken. Ich krümmte mich vor Magenkrämpfen, obwohl ich mich in den Ketten kaum rühren konnte.
Am Ende des Tages, als sich das Licht, das durch den Spalt in der Wand fiel, orange färbte, befahlen die Priester, die Scheune aufzuschließen. Dem Ältesten Gallen gefiel das nicht. Er behauptete, ich sei zu gefährlich. Als die heiligen Männer darauf bestanden, bot er beiden zum Schutz eine Mistgabel an. Auch dies lehnten sie ab.
Langsam und quietschend wurde die Scheunentür aufgestoßen.
Ich hörte meine Mutter aufschreien und die Geräusche eines Handgemenges, jemand schien sie zurückzuhalten. Ich konnte sie nicht sehen.
Der Priester von Askaan ging einige Schritte auf mich zu, dann wich er zurück und hielt sich die Hand vor den Mund. Die Scheune stank, nicht nur von den Ausscheidungen der Tiere, sondern auch von meinen eigenen. Ich hatte in die Hose gemacht. Die Ketten hatten mir keine andere Wahl gelassen, trotzdem schaffte die Scham, was der Furcht nicht gelungen war. Sie ließ mich zusammenbrechen. Ich begann lautlos zu weinen, gequältes Schluchzen schüttelte meinen Körper.
»Sie haben dir eine gehörige Tracht Prügel verpasst, nicht wahr, mein Kind?«
Ich sah den Mann, der gesprochen hatte, fragend an. Seine Stimme war sanft und gütig. Es war der Priester des Anderen. Er kniete sich neben mich, ohne sich weiter um den Gestank zu kümmern, nahm mein Kinn und drehte mein Gesicht vorsichtig zu sich. Seine Finger waren trocken und kühl.
Er sah mich forschend an und lächelte traurig. Danach stand er auf und verließ die Scheune, der Priester von Askaan folgte willig. Die Türen wurden wieder zugeworfen, so heftig, dass Splitter flogen und Heu und Staub auf mich herabwirbelten.
Draußen berieten sich die zwei Priester mit gedämpfter Stimme. Durch das Loch in der Wand konnte ich sie weder sehen noch hören, was sie miteinander sprachen, und nach ein paar Minuten gingen sie auf den Anger zurück.
Der Priester von Askaan nahm das Heilige Buch und las einen Segen daraus vor.
Danach verkündete der Priester des Anderen das Urteil. »Ein Dämon des Anderen hat von dem Mädchen Besitz ergriffen. Ich denke, sie ist zu jung, als dass sie den Dämon freiwillig in sich aufgenommen hat – die Tragödie wurde möglicherweise durch ihre Erziehung ausgelöst. Vaterlose Kinder sind immer besonders anfällig. Sie muss sich einer Reinigung unterziehen. Genau wie das Dorf.«
»Wie?«, fragte der Älteste Gallen.
»Mit Feuer, Ältester«, sagte der Priester des Anderen. »Mit Feuer.«
Die Decke, die ich mir wie einen Mantel um die Schultern gelegt hatte, bot keinen Schutz gegen die bittere Kälte, die mir durch die Knochen kroch, als ich mich den Schieferhang zu meinem Ziel hinaufkämpfte. Meine Hände schmerzten vom Festklammern an der rauen Oberfläche, meine Haut war spröde und aufgesprungen. Entfernt nahm ich das alles wahr, aber nichts davon war schlimm genug, um mich von dem Ziel abzulenken, für das ich einen so langen Weg zurückgelegt hatte. Von dem Ort, für den ich gelogen, gestohlen und gekämpft hatte.
Endlich war ich da.
Irgendetwas stimmte jedoch nicht. Die Kälte in mir war hundert Mal eisiger als die Kälte in den Bergen. Worauf ich starrte, war nicht die heilige Stätte, über die meine Mutter während ihrer Krankheit fantasiert hatte – ein Ort, an dem die heiligen Menschen Krieger und Heiler waren und wo niemand weggeschickt wurde, der Hilfe brauchte. Dies war nicht die Heimstatt der Feuergöttin.
Dies war eine Schlangengrube.
Ich starrte auf die hoch aufragende äußere Mauer des Bauwerks. Von meinem Versteck auf dem Hang konnte ich erkennen, dass von der früher wahrscheinlich unüberwindbaren Wehr nun wenig mehr als ein lückenhaftes Zackenwerk übrig war.
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