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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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Die Löcher in der Mauer waren mit aneinandergereihten, spitzen Holzpfählen geschlossen, sie bildeten eine zwei Meter hohe Palisade mit einem einzigen, grob gezimmerten Holztor. Männer in zusammengewürfelter, verbeulter Rüstung, das helle Haar fettig, die Haut dreckverschmiert, gingen durch dieses Tor ein und aus. Sie brachten Ziegen und Schafe, Karren mit Getreide, Fässer, die Bier zu enthalten schienen, und andere Waren ins Innere.
    Und sie brachten Menschen.
    Menschen mit dunkler Haut. Menschen, mit Blut und blauen Flecken und Tränenspuren auf dem Gesicht. Menschen, deren Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren und die getreten, gestoßen oder ausgepeitscht wurden, sobald sie hinfielen oder sich zu wehren versuchten.
    Auf der anderen Seite der Mauer konnte ich Frauen und Kinder mit hellem Haar und heller Haut erkennen, die vornehme Kleider trugen. Sie lachten, spielten und schwatzten. Männer in ordentlicher, geschwärzter Rüstung mit seltsam spitzen Helmen bewachten gleichgültig die innere Mauer um den Bergfried. Die Dunkelhäutigen schufteten: hackten Holz klein, gruben Gräben und schrubbten Kleider; ihre Rücken waren gekrümmt, als warteten sie auf den nächsten Schlag.
    Sklaven.
    Wäre mein Magen nicht so leer gewesen, hätte ich mich übergeben.
    Hierher brachten also die Räuber die erbeuteten Waren und die Menschen, die sie entführt hatten. Dies war das Zuhause der Abtrünnigen, von denen Luca gesprochen hatte. Welcher heilige Ort auch immer hier einst gewesen sein mochte, er existierte schon lange nicht mehr. Es gab keine Feuergöttin. Es gab keine Hilfe für mich in Ruan. Es gab nirgendwo Hilfe für mich.
    Beinahe unbewusst begann ich wieder hinabzusteigen, ich wollte nur noch der beißenden Kälte und dem Anblick meiner zerschmetterten Hoffnungen entkommen.
    Es hatte mich fast einen Tag gekostet, den Bergkamm zu erklimmen. Den Abstieg schaffte ich in der Hälfte der Zeit, ich war so verzweifelt, dass ich weder darauf achtete, woran ich mich festhielt, noch nach einem sicheren Pfad suchte. Irgendwo im Hinterkopf wusste ich, dass mein Handeln gefährlich war; ich konnte abstürzen und mich ernstlich verletzen oder sogar sterben. Der Wolf zwang mir seine überlegene Kraft und seine Reflexe nur dann auf, wenn andere mein Blut vergossen – wenn er eine Chance hatte, zu kämpfen und zu töten. Wenn ich aus Achtlosigkeit einen Abhang hinunterzustürzte, würde ihn das nicht wecken.
    Doch ich wollte nur noch weg.
    Der Abhang wurde flacher. Gestrüpp wich grauen, verkrüppelten Bäumen und dichtem Gebüsch und schließlich dem hoch aufragenden Grün des Bergwaldes. Ich lief ziellos weiter, mein Blick glitt über alles, ohne es wahrzunehmen.
    Ich weiß nicht, wann ich zu zittern anfing. Ich bemerkte es überhaupt nur, weil meine Füße trotz des beinahe ebenen Untergrunds plötzlich wegrutschten und stolperten. Alles verschwamm mir vor den Augen. Ich merkte, wie ich nach Luft rang. Ich blieb stehen und starrte auf die grünen und blauen Gewölbe der Bäume rings um mich, auf das Sonnenlicht, das die Luft in Gold verwandelte, auf das Moos und die fette, dunkle Erde.
    Wo bin ich? Wohin gehe ich?
    Als ich mich auf die Erde setzte, knirschten Steine und abgebrochene Äste unter mir.
    Der Wolf wird immer in mir sein. Ich werde niemals frei sein.
    Ich griff ungeschickt nach dem Wolfszahn und würgte mich fast, als ich das Lederband über den Kopf zog und die harte, vertraute Form zwischen meinen Händen drückte.
    Vater. Vater, bitte hilf mir. Sag mir, was ich tun soll.
    »Du hast einen weiten Weg auf dich genommen, um herumzusitzen und Selbstgespräche zu führen.«
    Ich sprang auf, der Wolfszahn flog mir aus der Hand. Er landete einige Schritte weiter auf dem Boden. Instinktiv wollte ich danach greifen, doch Luca war schneller, er hob die Kette auf und betrachtete sie nachdenklich. »Der Fangzahn eines Wolfs? Warum trägst du so etwas um den Hals?«
    Er sah mich neugierig an. Die Sonne ließ seine Augen mit einem goldenen inneren Licht funkeln, wie der Himmel kurz vor der Dämmerung – wenn die Welt an der Schwelle zum Erwachen zögert.
    Er trug keine Rüstung, doch quer über seiner Brust spannte sich ein breiter Lederriemen und über seine linke Schulter ragte der Griff eines Schwertes. Zwei weitere Ledergurte über seinen Schultern hielten ein schweres Segeltuchbündel, das vermutlich genauso viel wog wie ich. An einem muskulösen, lederbekleideten Schenkel waren zwei lange Messer befestigt.
    Er

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