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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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als hätte er den Kopf gegen die Tür fallen lassen. Als er weitersprach, klang seine Stimme sanfter. »Du musst doch mittlerweile völlig entkräftet sein. Es wird dir noch viel schlechter gehen, wenn du dich weigerst zu essen. Falls ich noch mehr Essen bringen lasse, wirst du es dann wieder nach draußen werfen?«
    Sollte ich ihm seine Fürsorge abnehmen? Vielleicht bildete er sich ein, mich überlisten zu können. Ich presste meine Grabwerkzeuge an mich.
    »Ich weiß nicht einmal deinen Namen«, murmelte er, als würde er zu sich selbst sprechen. »Wie soll man vernünftig mit jemandem reden, wenn man nicht mal dessen Namen kennt? Hör zu. Wir wollen dir nichts tun. Du bist in diesem Lager nicht in Gefahr.«
    Ich werde dich hinrichten. Sofort und ohne Vorwarnung …
    Ich kauerte mich noch mehr zusammen.
    »Wir sind die königliche Berggarde. Weißt du, was das bedeutet? Wir vertreten die Gesetze der Reia. Das bedeutet, Gefangene werden nicht gefoltert. Das bedeutet, jedem wird ein fairer Prozess gemacht. Wir setzen unser Leben aufs Spiel, indem wir Patrouillen in die Berge schicken, um die Menschen hier vor den sedrischen Räubern zu schützen. Wir sind die Guten. Du brauchst keine Angst vor uns zu haben.«
    Es folgte langes Schweigen. Erwartete er eine Antwort? Was wollte er von mir hören?
    Die Guten? Meiner Erfahrung nach ließ sich die Welt unterteilen in Menschen, die einen sofort umzubringen versuchten, und in solche, die es bislang noch nicht versucht hatten. Was hatten Gut und Böse damit zu tun?
    »Also gut. Ich lasse dich fürs Erste in Ruhe. Hier.«
    Ein weiches, plumpsendes Geräusch war zu hören. Ich spähte über meine Schulter und sah, dass er eine zusammengefaltete Decke durch die Türöffnung geschoben hatte. Danach landete ein lederner Wasserschlauch mit einem schwappenden Aufklatschen auf der Decke. Ich starrte beides ungläubig an.
    »Denk über meine Worte nach. Wenn du mir die Wahrheit sagst, kann ich versuchen dir zu helfen. Wir sind nur dann Feinde, wenn du es so willst.«
    Sein Schatten bewegte sich von der Tür weg. Ich lauschte auf Schritte, doch es waren keine zu hören. Der Mann bewegte sich wirklich so geräuschlos wie ein Raubvogel. Das durfte ich nicht vergessen.
    Ich zählte bis sechzig, bevor ich aufstand, zur Tür ging und durch die Öffnung spähte. Ein oder zwei Lagerbewohner gingen vorbei, mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt; Luca oder sein Ziegenhirtenwächter waren nirgends zu entdecken.
    Ich hob die Decke und den Wasserschlauch auf und prüfte sie eingehend. Die Decke war dick, aus doppelt gewebter Wolle, grau und weich vom Waschen, der Wasserschlauch gut verschlossen und prall gefüllt.
    Luca hatte mir gerade alles Notwendige für eine erfolgreiche Flucht hereingeworfen. Das war zu einfach. Warum gab er mir diese Dinge? Bestimmt nicht aus Freundlichkeit. Nicht, nachdem der Wolf und ich ihn und seinen Gefährten zweimal angegriffen hatten. Es ergab keinen Sinn. Doch er hatte mich bereits eingesperrt – mich herauszulocken, um mich dann von neuem zu jagen, ergab auch keinen Sinn.
    Nein, diese Bergwächter wollten mich offensichtlich am Leben halten, um mir weitere Fragen zu stellen. Sie hielten mich für eine Spionin – jemanden, der möglicherweise über wertvolle Informationen verfügte. Zu ihrem Pech gedachte ich nicht zu warten, bis sie ihren Irrtum bemerkten.
    Als es Nacht wurde, zitterten meine Schultern und Arme vor Erschöpfung. Meine Finger hatten nicht mehr die Kraft, das Grabwerkzeug zu halten. Da sich auf beiden Handflächen Blasen zeigten, hatte ich meine rechte Hand wieder bandagieren und auf die linke Livias feuchte Kräuterkompresse drücken müssen.
    Doch das Loch unter der Wand war nun groß genug, um mich hindurchzuquetschen.
    Ich verschob noch einmal die Matratze, trat so lange dagegen, bis sie quer auf dem Boden lag und hoffentlich einen Großteil des Durcheinanders verdeckte, das ich angerichtet hatte. Dann streckte ich mich darauf aus und lag ganz still. Nur meine Hände öffnete und schloss ich vorsichtig, damit sie wieder etwas zu Kraft kämen.
    Jemand trat an die Zellentür und leuchtete mit der Lampe herein. Angespannt stellte ich mir vor, wie sein Blick durch den Raum wanderte.
    Als er weitergegangen war, wartete ich so lange, wie ich es aushalten konnte, und lauschte auf die Geräusche des Lagers, die sich mit Einbruch der Dunkelheit änderten. Nachdem alles eine geraume Weile friedlich geblieben war, ging ich zur Tür und spähte

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