Frostblüte (German Edition)
einen über dem Feuer braten und dann verspeisen würde, wenn man etwas angestellt hat – solches Zeug.«
Luca stieß ein schnaubendes Lachen aus, doch es klang nicht besonders fröhlich. »Diese Geschichten sind nicht so albern, wie du vielleicht denken magst. Abheron war der König von Sedra, unserem Nachbarland. Doch er konnte sich dort nicht an der Macht halten. Kurz bevor er entthront werden sollte, kam er nach Ruan, angeblich um seinen Schwager, den Rei – so heißt der Herrscher in Ruan –, um Zuflucht zu bitten. Stattdessen setzte Abheron den Königspalast in Brand, ermordete seine Schwester und ihren Mann und ihre sämtlichen Kinder bis auf eines, das flüchten konnte. Dann beanspruchte er den Thron von Ruan für sich.«
Plötzlich wirkten die Schatten der Bäume um uns dunkler. »Das ist …«
»Wahnsinnig?«, schlug Luca vor. »Ja. Daher kommt sein Spitzname. Nachdem er die ruanische Königsfamilie ermordet hatte, brachte er seine sedrischen Edelmänner hierher. Für sie war es zu Hause ebenfalls brenzlig geworden. Sie besetzten Ruan für zehn Jahre, und das waren keine glücklichen Jahre für das ruanische Volk, glaub mir. Schließlich gelang es Abherons Nichte Zahira – dem einzigen überlebenden Mitglied der ruanischen Königsfamilie –, ihn zu besiegen. Sie übernahm wieder den Thron und heiratete Lord Sorin, der aus Sedra stammte, und gemeinsam versuchten sie uns zu einem Volk zu vereinen. Doch einige der sedrischen Edelmänner hatten sich daran gewöhnt, die Rua wie … wie Eigentum zu behandeln, wie Lasttiere. Sie änderten ihr Verhalten nicht, jedenfalls nicht auf Befehl einer ruanischen Herrscherin. Es gab Mordversuche, Scharmützel und schließlich einen Krieg, der ungefähr ein Jahr dauerte. Am Ende des Krieges trieb Reia Zahira alle Aufständischen zusammen und ließ sie über die Grenze bringen, zurück nach Sedra.«
»Das ist ja keine große Strafe«, sagte ich verächtlich. »Sie nach Hause zu schicken.«
»Außer sie zu töten, war es das Schlimmste, was die Reia ihnen antun konnte. Sedra ist mittlerweile eine Republik. Diese Edelmänner gaben alles auf – Ländereien, Titel, Geld –, als sie das Land verließen, um sich Abheron anzuschließen. Die Reia schickte sie nach Hause, mit nichts als ihren Kleidern auf dem Leib, und als sie die Grenze erreichten, mussten sie betteln, um wieder in ihrem eigenen Land aufgenommen zu werden. Ich bezweifle, dass noch viele dieser Rückkehrer am Leben sind.
Doch an diesem Punkt ging der Plan der Reia schief. Eine Gruppe Aufständischer setzte sich von der Hauptarmee ab, bevor die Männer der Reia sie ergreifen konnte. Sie flüchteten und nahmen ihre Soldaten, Familien, Unterstützer und Diener mit. Man hatte ihnen hier ihre Ländereien weggenommen, doch statt unter so schwierigen Umständen nach Sedra zurückzukehren, flohen sie in diese Berge und verschanzten sich. Sie versuchen sich einen eigenen Hoheitsbereich zu schaffen, weit weg vom Machtzentrum der Reia. Sie bestechen örtliche Kaufleute, ihnen Waren zu bringen, oder rauben ausländische Handelskarawanen aus, die über die Bergpässe kommen. Sie senden kleine Trupps rangniederer Männer aus, um Bauern oder Dorfbewohner aus der Gegend zu bestehlen. In letzter Zeit haben sie auch damit angefangen, Menschen zu entführen: entweder als Sklaven für sich selbst oder um sie über die Grenze nach Sedra zu verkaufen. Offiziell wurde die Sklaverei in Sedra schon vor Jahren verboten, doch die Obrigkeit scheint nicht in der Lage zu sein, dies durchzusetzen.«
»Dann sind die Hellhäutigen also Sedrier?«
»Genau.«
»Und die dunkelhäutigen Menschen sind Rua?«
»Ja.«
»Das heißt doch, du bist Sedrier. Du stehst also noch immer auf der falschen Seite.«
»Es geht nicht um die Hautfarbe. Hast du nicht gehört, was ich erzählt habe: dass die Reia einen Sedrier geheiratet hat? Es gibt viel mehr von uns, die sich trotz sedrischer Wurzeln als Rua fühlen, als solche, die sich von Natur aus für überlegen halten, weil unsere Eltern von jenseits der Grenze kamen. Die Reia und der König haben viele treue sedrische Untertanen. Die Aufständischen sind nicht Aufständische, weil sie helle Haut und helle Haare haben. Sie sind Aufständische, weil sie gewalttätig, bestechlich und machtgierig sind.«
Eine Brise strich durch die Blätter über uns. Das Feuer flammte auf, als recke es sich dem Wind entgegen, und ließ Funken aufsteigen. Ich folgte ihnen mit den Augen. Durch die verschlungenen
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