Frostblüte (German Edition)
dreckverschmierten Körper noch bewusster machte.
Seine Hand mit einem Deckenzipfel schützend zog er den Blechtopf von dem Gestell aus langen Zweigen, das er über dem Feuer gebaut hatte. Er löffelte etwas von dem gewürzten Getreide in eine kleine Holzschale, legte ein Stück Fladenbrot dazu und reichte mir alles.
»Normalerweise würde ich dich fragen, ob du Hunger hast, aber ich kenne die Antwort ja schon. Versuch bitte nicht, diese Schale zu zerbrechen oder mit dem Löffel zu graben. Ich brauche sie nach dir.«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und wünschte, ich hätte die Willenskraft besessen, ihm das Essen ins Gesicht zu schleudern. Doch ich hatte sie nicht. Als ich die Hände nach der Schale ausstreckte, zitterten sie. Ich hätte das Essen womöglich fallen lassen, wenn Luca meine Hände nicht behutsam um die sanfte Rundung aus Holz gelegt hätte.
»Pass auf«, sagte er, als er seine Finger löste. »Es ist heiß.«
Ich zog mich schnell in meine Ecke zurück, steckte den Löffel in den Getreidebrei und blies vorsichtig, bevor ich davon kostete. Der Geschmack war wundervoll – süß, scharf und herzhaft, alles zur gleichen Zeit. Das fremdartige Getreide war weich und die durch die Kochflüssigkeit aufgequollenen Erbsen, Aprikosen und Fleischstücke waren saftig. Ich verbrannte mir die Zunge am nächsten Löffel, aber es war mir egal.
»Es scheint also genießbar zu sein?« Er grinste.
Ich hörte auf zu essen, meine Finger umklammerten den Löffel. Dann nahm ich den Blick in seinen Augen wahr. Es war der Blick, den Ma manchmal hatte, wenn eine ihrer Kräuterrezepturen gleich beim ersten Versuch glückte. Er machte sich nicht über mich lustig – er war einfach stolz, dass ihm etwas gut gelungen war. Ich riss ein Stück von dem Brot ab. »Es ist köstlich. Danke.«
Er sah auf seine Hände und ich meinte einen Anflug von Rot auf seinen Wangen zu erkennen. Es konnte allerdings ebenso gut am Feuerschein liegen.
Ich wischte die letzten Reste mit einem Stück Brot aus der Schale, dann kniete ich mich hin, um sie ihm zusammen mit dem Löffel zu reichen. Sobald seine langen Finger meine streiften, zog ich die Hand zurück. Trotz seiner Sonnenbräune wirkte seine Hand neben meiner knochenbleich – und ich galt bei mir zu Hause noch nicht einmal als besonders dunkelhäutig. Wie sollte ich auch mit einem Vater aus dem Norden.
»Du bist hellhäutig«, murmelte ich, als ich mich wieder zurücklehnte.
Er sah mich fragend an und schüttete das restliche Essen aus dem Kochtopf in die Holzschale, holte ein weiteres Stück Brot aus seinem Bündel und begann zu essen, ohne das Essgeschirr zuerst sauber zu wischen. Unter meinem Brustbein verkrampfte sich etwas. Meine Mutter hatte alles, was ich berührt hatte, abgekocht, bevor sie es benutzte.
»War das für meine Ohren gedacht? Ist das bei euch zu Hause eine Beleidigung?«, fragte er nach ein, zwei Löffeln. Er klang nicht beleidigt, nur interessiert.
»Es ist keine Beleidigung. Es ist nur … die Aufständischen, die ich oben auf der Burg gesehen habe –«
»In der Tempelfestung.«
Ich zuckte ungeduldig mit der Schulter. »Sie hatten alle so helle Haut wie du. Die Dunkelhäutigen haben sie wie … wie Vieh behandelt. Die Räuber, die den Ziegenhirten angegriffen haben – ich meine, Arian –, sie waren ebenfalls hellhäutig. Er hat dunkle Haut und die Hellhäutigen griffen ihn an. Es ist irgendwie logisch. Menschen greifen immer Menschen an, die anders sind als sie selbst. Aber du passt nicht in dieses Muster. Du siehst wie sie aus. Warum bist du nicht bei ihnen?«
Er starrte mich an. Seine Augen kamen mir sehr dunkel vor und einen Moment glaubte ich, ich hätte ihn jetzt doch beleidigt. Dann schüttelte er den Kopf, im Feuerschein sahen seine Augen wieder hell aus. »Du weißt gar nichts über Ruan, oder? Ich kann nicht fassen, dass du den weiten Weg hierher zurückgelegt hast, ohne auch nur im Entferntesten zu wissen, worauf du dich einlässt. Hast du in Uskaand wenigstens von dem Krieg gehört?«
»Natürlich haben wir davon gehört«, sagte ich und verschränkte die Arme. »Es gab also einen Krieg? Und was hat das mit Hautfarben zu tun?«
Er musterte mein Gesicht. »Was weißt du über König Abheron den Wahnsinnigen?«
»Nicht viel«, räumte ich ein. »Jedenfalls nicht viel über das, was wirklich passiert ist. Als ich klein war, haben die anderen Kinder Geschichten über ihn erzählt. Alberne Geschichten. Dass er nachts ins Haus kommen und
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