Frostblüte (German Edition)
erinnerte mich an das trockene, schmerzhafte Krächzen meiner Mutter, als sie auf ihrem Totenbett unzusammenhängend vor sich hin gestammelt hatte.
»Es war eine heilige Stätte, ein geheimer Ort. Eine Göttin war dort. Die Feuergöttin. Einige, die in das Feuer gingen, wurden wahnsinnig. Andere verbrannten. Doch einige wurden geheilt. Du könntest geheilt werden. Du bist schon wahnsinnig, oder, Saram? Es ist besser, tot zu sein, als mit diesem Ding in dir zu leben. Wenn du doch bloß die Feuergöttin finden könntest, könntest du gerettet werden …
Ich bin zu schwach für diese Reise. Ich war immer zu schwach. Zu verängstigt. Nachdem dein Vater tot war … Er hätte mich nicht verlassen dürfen. Er hätte an diesem Tag niemals gehen dürfen …« Ihre Finger hatten sich in meiner Hand wie das zerbrechliche Skelett eines Vogels angefühlt. »Wenn ich tot bin, darfst du nicht hierbleiben, Saram. Versprich mir das. Bleib nicht hier wie ich. Mach dich auf den Weg. Geh in die Berge. Suche die heilige Stätte und die Göttin. Versprich mir das.«
»Ja, Ma«, hatte ich geflüstert, während ihre Hand aus meiner glitt. »Ich verspreche es dir.«
»Du kennst diese Legende, oder?«, fragte Luca und holte mich aus der Erinnerung. »Das meintest du mit der Feuergöttin. Wie in aller Welt konntest du davon wissen, wo du doch nicht mal den Unterschied zwischen Rua und Sedriern kanntest?«
Ich schluckte trocken. »Mas Eltern starben, als sie noch klein war. Damals besuchte eine Kräuterfrau das Dorf. Stela hieß sie. Sie kam aus Ruan und sprach kaum Uskaandisch, doch sie versuchte das Leiden meiner Großeltern zu lindern. Nachdem sie gestorben waren, konnten Mas Onkel und Tante es sich nicht leisten, Stela für ihre Pflege zu bezahlen, und da sie Ma sowieso nicht bei sich haben wollten, gaben sie sie der Kräuterfrau als Dienerin. Nur war Stela … sie war nicht so. Sie behandelte Ma wie ihr eigenes Kind und gemeinsam reisten sie durch ganz Uskaand. Ma übersetzte für sie und half ihr und irgendwann brachte sie ihr Uskaandisch bei. Stela lehrte Ma ihre Heilkünste und viele alte Lieder und Geschichten, und sie lehrte sie auch wie eine Rua zu lesen und zu schreiben und zu sprechen.«
»Und deine Mutter hat es dich gelehrt?«, fragte Luca. »Deine Aussprache ist sehr gut.«
Ich zuckte verlegen mit den Schultern. »Als Ma krank wurde, erinnerte sie sich an die Geschichte über die Feuergöttin und nahm mir das Versprechen ab, hierherzugehen und die Göttin zu finden. Und dieses Versprechen musste ich einhalten.«
»Du musst deine Mutter sehr geliebt haben.«
Ich blickte in das blaue, purpurfarbene, gelbe Feuer. Musste ich? Sie hat mich nicht geliebt. Ich glaube nicht, dass sie mich gelehrt hat, wie das geht … Unwillkürlich legte ich die Hand auf die Brust. Doch der Wolfszahn war nicht dort. Er steckte noch immer in Lucas Tasche. Meine Finger verkrampften sich zu einer Faust.
»Warum hat dir deine Mutter dieses Versprechen abgenommen? Warum wollte sie, dass du die Feuergöttin findest?«
Meine Hand ballte sich noch fester zusammen – bis sie zitterte. Ich blickte durch das Feuer auf sein Gesicht. Es war nun völlig dunkel und die Schatten ließen seine Augen schwarz aussehen. Ich kannte diesen Mann nicht. Warum hatte ich ihm das alles erzählt? Er hatte kein Recht, etwas über mich zu erfahren. Er hatte mich hereingelegt.
»Warum haben sie dich hierhergeschickt, um gegen die Abtrünnigen zu kämpfen?«, schoss ich zurück. »Du bist sehr jung, um eine Truppe Soldaten anzuführen, oder? Wollte man dich loswerden? Hast du irgendetwas verbrochen?«
Er blinzelte und schien für einen Moment die Sprache verloren zu haben und ich fühlte einen grausamen Anflug von Befriedigung. »Nein«, antwortete er schließlich. »Vermutlich haben sie mich hergeschickt, weil sie wussten, dass sie mir trauen konnten.«
»Warum das?«
»Dafür gibt es zwei Gründe«, sagte er, seine Stimme war nun flach und tonlos. »Zum einen ist Lord Sorin, der Mann, der die Reia heiratete und König wurde, mein Cousin.«
»Oh«, sagte ich kaum hörbar. Ich betrachtete ihn, wie er mit dem Löffel in der Hand entspannt auf der Erde saß, und schluckte. »Und was ist der andere Grund?«
»Der Anführer der Abtrünnigen ist ein Mann namens Ion Constantin. Der König weiß, dass ich nicht eher ruhen werde, als bis ihm der Prozess gemacht wird. Es ist allein meine Aufgabe und sonst niemandes. Ion Constantin ist mein Bruder. Er hat meine Familie
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