Frostblüte (German Edition)
war gekommen, um zu töten.
Ich wich zurück, stolperte jedoch in meiner Hast. Ich hielt mich an einem Baumstumpf fest, um nicht zu stürzen. »Du bist mir gefolgt.«
»Nein, ich habe dich aufgespürt. Da besteht ein kleiner Unterschied. Du warst oben bei der Tempelfestung, oder?«
Ich konnte den Blick nicht von dem Wolfszahn abwenden, der so locker von seiner langfingrigen Hand herunterbaumelte. Ich hatte Dads Axt verloren. Der Zahn war alles, was mir geblieben war. Alles, was ich noch von Garin Aeskaar besaß.
»Warum bist du dorthin gegangen? Um deinen Sold für den Angriff auf Arian und mich einzufordern? Oder gab es einen anderen Grund?«
Ich wich noch einen Schritt zurück. Was nutzte mir der Wolfszahn meines Vaters, wenn ich tot war?
»Antworte mir!« Seine Stimme war etwas lauter geworden und ich sah ihm wieder ins Gesicht. »Warum bist du zum Stützpunkt der Abtrünnigen gegangen?«
Mit meiner Beherrschung war es vorbei. Ich riss mir die Decke von den Schultern und schleuderte sie Luca ins Gesicht.
Dann flüchtete ich ins Dickicht der Bäume, den Abhang hinunter. Ich duckte mich und schlug Haken, während dünne Zweige auf meine Haut peitschten und sie zerkratzten, Wurzeln sich in meinen Stiefeln verfingen und Steine unter meinen Füßen wegrollten. Die Luft brannte in meinen Lungen und mein Mund schmeckte nach Kupfer.
Wenn ich weiterrannte, konnte ich entkommen. Luca war größer als ich, aber er war breiter und mit Waffen und dem Bündel beladen, die sich in den Ästen verfangen und ihn bremsen würden. Ich musste nur einen gewissen Abstand zwischen uns schaffen. Dann konnte ich mich verstecken.
Vor mir stob ein Vogelschwarm mit schrillem Krächzen auf. Ich sprang zurück und blieb abrupt stehen. Dann fiel mir etwas auf: Ich hörte niemanden hinter mir.
Konnte ich ihn so einfach abgehängt haben?
Nein. Was hatte er gesagt? Er war mir nicht gefolgt. Er hatte mich aufgespürt.
Und er tat es jetzt wieder.
Ein Tröpfchen kalter Schweiß kroch mir wie ein vielfüßiges Insekt den Rücken hinunter.
In Uskaand hatte ich für uns Vögel und Eichhörnchen gejagt und Fallen für Kaninchen und Füchse aufgestellt. Ich wusste, wie man sich leise durch den Wald bewegte. Doch dieser Mann … dieser Mann war lautlos. Lautloser, als es irgendeinem Menschen zustand. Nicht einmal seine Schritte hatte ich bisher gehört. Er war irgendwo im Wald. Und er war hinter mir her.
Nun ging ich zögernd weiter, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, presste den Wasserschlauch an meinen Körper, damit die kärglichen Wasserreste kein verräterisches Geräusch verursachten. Irgendwo weiter oben knackte ein Ast. Ich wirbelte herum, meine Augen suchten nach etwas, irgendetwas, das mir den Aufenthaltsort meines Verfolgers verraten würde.
Doch da war nichts. Das Einzige, was sich bewegte, war der Wind zwischen den Blättern. Ich atmete langsam aus, drehte mich um –
– und stand Luca gegenüber.
Eine lange Schramme verunstaltete seine Wange und in dem ordentlich geflochtenen Haar hing ein Blatt. Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich konnte Versteckspielen noch nie leiden.«
Ich schrie auf und machte einen Satz nach hinten. Mein Stiefel verfing sich in einer herunterhängenden Schlingpflanze und ich schlug so hart mit der rechten Hüfte auf dem Boden auf, dass mir die Luft wegblieb. Verzweifelt versuchte ich mich aufzurappeln.
Eine kräftige Hand fasste mich am Handgelenk und zog mich sanft, aber unerbittlich hoch, bis ich aufrecht saß. Eine andere Hand rieb mir kräftig den Rücken, die Finger drückten auf meine Wirbelsäule. »Atme. Atme einfach. Mehr nicht. Ist gleicht vorbei.«
Ich versuchte seine Hand abzuschütteln, versuchte meinen Arm loszureißen. »Lass mich los«, keuchte ich. »Verschwinde.«
Lucas Griff wurde fester. Ich erstarrte und mein Bauch verkrampfte sich, während ich darauf wartete, dass die Hand auf meinem Rücken tiefer rutschen und an meinen Kleidern zerren würde. Ich machte mich bereit, notfalls zuzubeißen, zu kratzen und zu schreien. Alles, um zu entkommen.
Er rieb einfach fest weiter. Er roch sauber, nach Seife und Leder und warmer Haut und etwas anderem, etwas … Süßem. Geißblatt? Seine Hände hielten mich weiter fest, allerdings nicht so fest, dass blaue Flecke zurückbleiben würden. Und er war warm und mir war so elend kalt.
»Wann hast du das letzte Mal etwas Vernünftiges gegessen?«, fragte er ruhig. »Deine Rippen sind so spitz, dass ich mir die Hand daran
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