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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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irritiert an.
    »So redet doch keine Zwölfjährige.«
    Maus war nicht zu bremsen. »Doch, tut sie, wenn sie nie mit anderen Zwölfjährigen redet, sondern nur hin und wieder mit einem Erwachsenen und meistens mit sich selbst.« Sie schluckte einen Kloß im Hals hinunter und kämpfte gegen die Tränen an, die in ihren Augen brannten. Sie weinte nie vor anderen Menschen, nicht einmal, wenn sie zornig war.
    Tamsin beugte sich vor und wollte ihre Hand ergreifen, aber Maus zog sie weg. Erst als die Magierin einen zweiten Versuch machte, gab Maus nach. Abgesehen von Kukuschka hatte noch nie irgendjemand sie bei der Hand genommen.
    »Ich hab dich nicht beleidigen wollen«, sagte Tamsin, und diesmal sah sie nicht aus, als müsste sie dabei ein Lachen unterdrücken. »Wirklich nicht. Ich bin jahrelang immer nur mit meinem Vater zusammen gewesen, von einem Auftrag zum nächsten gereist … Er war nie einfach – Gott, das nun mit Sicherheit nicht! –, und ich hab mir in seiner Nähe vielleicht ein paar Dinge angewöhnt, die … hmm, die andere Leute wahrscheinlich missverstehen können. Manchmal kam man nur gegen ihn an, wenn man genauso spöttisch und beißend war wie er.«
    »Was ist mit deinem Bruder, diesem Rufus?«
    »Er ist älter als ich und hat seine Lehrzeit bei Vater schon vor vielen Jahren beendet. Er reist allein durch die Welt und tut … nun, was Rufus eben tut.« Sie schien nicht darüber sprechen zu wollen. »Aber ich hab noch mehr Geschwister. Meine jüngste Schwester Pallis würde dir gefallen. Sie ist süß.«
    »Ich kann süße Kinder nicht ausstehen. Sie quengeln auf den Fluren rum, beschmieren ihre Schuhe mit Schokolade und bewerfen sich mit Essen.«
    Tamsin lachte. »Pallis ist kein Kind mehr. Jedenfalls kein kleines.«
    »Wissen die anderen es schon? Ich meine, dass dein Vater … dass er tot ist?«
    »Sie haben es im selben Augenblick gewusst, als er starb.«
    Tamsin senkte den Kopf. »Weißt du, wir sind keine normale Familie.« Ihre rechte Hand krallte sich in die Decke, ohne dass sie selbst es zu bemerken schien. »Ich fürchte, sie denken, dass ich es hätte verhindern müssen. Rufus jedenfalls wird das glauben.« Sie räusperte sich und setzte ein gespieltes Lächeln auf. »Aber lass uns nicht von ihm reden, ja?«
    Maus nickte. »Haben die gesagt, warum das Hotel geräumt wird? Ist es wegen des Zaren?«
    »Er will ausreiten, mit irgendeinem Staatsgast aus China. Aus Angst vor Attentaten werden für ein paar Stunden alle Häuser geräumt, an denen sein Tross vorbeikommt. Passiert so was öfter?«
    »Manchmal.« Maus erinnerte sich noch an die letzte Räumung des Aurora, aber sie lag über ein Jahr zurück.
    »Der Zar hat Angst, weil sein Vater bei einem Anschlag umgekommen ist. Wenn er die Stadt verlässt, um in den Wäldern zu jagen, benutzt er jedes Mal einen anderen Weg. Manchmal verkleidet er sich auch, heißt es. Aber wenn ein Staatsgast zu Besuch kommt, muss er wohl oder übel seine Uniform tragen. Also darf niemand sonst in seine Nähe.«
    »Wundert mich nicht, dass ihn keiner mag.« Tamsin rieb sich mit den Handballen über die Augen. »Wie auch immer … Die Schneekönigin wird das Hotel nicht verlassen, nicht in ihrem Zustand. Und das bedeutet, ich bleibe ebenfalls.«
    Maus überlegte, wie offen sie Tamsin gegenüber sein konnte. Sie gab sich einen Ruck. »Ich hab ein Versteck, unten im Keller. Da hab ich mich auch beim letzten Mal verkrochen, als alle aus dem Hotel rausmussten. Wenn du willst … ich meine, dort finden sie uns nie.«
    Tamsin dachte kurz nach, dann nickte sie. »Das ist sehr nett von dir. Danke für dein Vertrauen.«
    »Oh«, machte Maus gedehnt. »Ganz umsonst ist es nicht.«
    Tamsin legte fragend den Kopf schräg.
    »Du musst mir die Wahrheit sagen.« Maus zeigte auf den umgedrehten Zylinder. »Es ist da drin, oder? Das, was die Königin haben will.«
    Tamsin erhob sich wieder von der Bettkante, trat an den Tisch und fuhr mit der Fingerkuppe einmal rund um die verbeulte Hutkrempe. Ein kaum merkliches Schaudern durchlief sie. Ihre Unterlippe bebte. »Ja.«
    »Was genau ist es?«
    »Bist du sicher, das du das wissen möchtest?« Tamsin blickte Maus an. Alles Verspielte, Mädchenhafte war auf einen Schlag aus ihren Zügen gewichen. Sie sah jetzt sehr viel älter aus; nicht verbraucht und kraftlos wie die Königin, sondern erfahrener, fast ein wenig weise.
    »Nach allem, was passiert ist?«, fragte Maus. »Sicher.«
    Tamsin seufzte und deutete erneut auf den

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