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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tamsin sagte, aber das war nicht ganz einfach, denn der Zauber hatte keine Macht über die Decke. Immer wieder wollte sie den Gesetzen der Schwerkraft folgen und zurück auf den Boden fallen. Ein widerspenstiger Zipfel rutschte Maus ständig vors Gesicht.
    Tamsin blickte prüfend nach rechts und links. Glücklicherweise waren die Korridore und Hallen um diese Zeit menschenleer. Selbst für nimmermüde Nachtschwärmer war es auf den Straßen viel zu kalt, als dass noch einer von ihnen so spät – oder früh – heimkehren mochte.
    »Beeil dich«, sagte Maus mit krächzender Stimme. »Bitte.«
    Tamsin legte den Koffer auf den Boden, murmelte ein paar seltsame Silben, strich mit der flachen Hand über die Schnallen an der Vorderseite und schien auf etwas zu warten. Bald darauf ertönte ein Geräusch wie ein Seufzen aus dem Inneren des Koffers, und Maus hatte den Eindruck, als fiele der Deckel kaum merklich in sich zusammen, gerade so, als hätte jemand Luft aus dem Koffer abgelassen. Tamsin nickte zufrieden, öffnete die Schnallen und klappte den Deckel ein Stück nach oben, jedoch nicht weit genug, dass Maus hätte hineinsehen können. Mit einer Hand hielt sie die Klappe fest, mit der anderen kramte sie im Inneren.
    »Ist nicht immer ganz leicht, die richtigen Worte zu finden«, bemerkte sie mit einem verlegenen Lächeln und suchte stirnrunzelnd weiter.
    »Mir ist so kalt«, brachte Maus hervor. Als sie auf dem Sims um ihr Leben gekämpft hatte, war der Frost dumpf und unwichtig gewesen. Sie hatte all ihre Kraft auf das Klettern und Laufen konzentrieren müssen und sogar ihre Angst vor der Außenwelt beinahe vergessen.
    Nun aber brach die Kälte umso heftiger über sie herein.
    »Aha!«, rief Tamsin triumphierend, zuckte gleich darauf erschrocken zusammen und schaute sich abermals um, ob irgendjemand sie gehört hatte. Niemand zeigte sich. Hinter allen anderen Zimmertüren blieb es still.
    »Hier ist es«, sagte sie gedämpft und zog das passende Wort hervor.
    Maus blinzelte, weil sie glaubte, ihre Augen ließen sie im Stich. Tamsins Hand hielt – nichts. Sicher, es sah aus, als hätte sie die Finger um irgendetwas geschlossen, etwas, das zappelte wie ein frisch gefangener Fisch. Doch zu erkennen war rein gar nichts, so als hielte sie stolz ein Stück leere Luft.
    »Ein widerspenstiges kleines Mistding!«, fluchte Tamsin, während ihr Arm hin und her ruckte und Schweißperlen auf ihrer Stirn erschienen. »Kann einem ganz schön zusetzen, wenn man nicht aufpasst.«
    Maus zog es vor, nicht darüber nachzudenken. Sie stand aufrecht unter der Decke, und sie war halb erfroren – das reichte für einen Tag. Vielleicht würde sie sich morgen wundern. Oder nächste Woche.
    Tamsin öffnete den Mund und schob sich das unsichtbare Wort hinein. Sie hatte Mühe, es komplett hineinzustopfen, und sie musste mit Daumen und Zeigefinger nachschieben. Angestrengt pulte sie sich im Mund herum, biss sich auf die Zunge und bekam das Wort schließlich unter Kontrolle. Mit aller Macht presste sie die Lippen fest aufeinander und verdrehte die Augen, während es hinter ihren aufgeblähten Backen rumorte und zuckte. Es kostete sie Zeit und einige Kraft, das Wort hinunterzuschlucken, aber schließlich gelang es ihr. Zufrieden sah sie zu Maus hinauf, als erwartete sie ein Lob für ihre Großtat.
    »Nun ja«, sagte Maus.
    Tamsin schüttelte lächelnd den Kopf, hob den Zeigefinger, als wollte sie sagen »Warte ab!«, und öffnete dann langsam den Mund, um zu sprechen.
    Was da aus ihrer Kehle kam, war alles, nur kein Wort. Fand Maus. Aber sie war ja auch keine Zauberin, trug keinen Zinnobermantel und erst recht keinen regenbogenbunten Regenschirm.
    Das Wort – wenn man es denn so nennen wollte – war eine seltsame Abfolge von Lauten, viel zu vielen Silben, die nicht zueinander passen wollten. Mal klang es fast wie eine Melodie, dann wieder wie ein scheußliches Rülpsen.
    »Papp!«, machte Tamsin zuletzt und schloss den Mund. Ob das noch zu dem Wort gehörte oder einfach nur der Laut war, mit dem ihre Lippen aufeinander klappten, blieb ungewiss.
    Oben an der Decke dachte Maus: Na wunderbar, das war wohl nichts.
    Dann wurde ihr auf einen Schlag schwindelig, etwas schien ihre Füße von der Tapete zu reißen, sie herumzuwirbeln und fallen zu lassen.
    Sie konnte gerade noch beide Hände ausstrecken, schrill und von Herzen »Aaaahhhh!« brüllen, dann stürzte sie auch schon zu Boden, fing sich ungeschickt ab, kippte zur Seite, knallte mit der

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