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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Zylinder.
    »Hier drin befindet sich etwas, das für sie größeren Wert hat als alles andere auf der Welt.«
    Maus knetete ungeduldig ihre Fingerknöchel.
    »Es ist ein Eiszapfen«, fuhr Tamsin fort. »Ein Eiszapfen von ihrem Herzen. Der Schlüssel zu all ihrer Macht.«
    Maus runzelte die Stirn. »Warum schmilzt er nicht?«
    Ein blasses Lächeln huschte über Tamsins Miene. Zum ersten Mal fielen Maus ihre vielen Sommersprossen auf.
    »Die Kälte, die ihn geformt hat, kann mit Wärme nicht bezwungen werden.«
    »Aha.«
    »Das muss alles ziemlich verwirrend für dich sein.«
    »Hundert Paar Herrenschuhe sind verwirrend.« Maus grinste. »Aber kein Eiszapfen.«
    Tamsin kam zu ihr und hob mit gekrümmtem Zeigefinger Maus’ Kinn. »Ich glaube dir, dass du tapfer bist. Aber nicht so tapfer. Niemand verachtet dich, nur weil du einmal zeigst, dass du Angst hast.«
    »Ich hatte vorhin eine ganze Menge Angst.«
    »Gut so. Selbst die Schneekönigin hatte Angst, als sie herkam, um sich den Zapfen zurückzuholen. Sie wusste, dass sie eine Falle erwarten würde, aber sie hatte keine Ahnung, welche Art von Falle. Ich bin ziemlich sicher, dass ihr alles andere als wohl war, als sie in den Zylinder hineingegriffen hat. Und fast hätte der Zauber der Sieben Pforten sie besiegt. Aber sie ist vorsichtig gewesen. Sie hat einen Blick auf die erste Pforte geworfen und ist gerade noch rechtzeitig umgekehrt. Das war ihr Glück. Den Zapfen musste sie hier lassen, aber sie ist mit dem Leben davongekommen.« Tamsin schlug die Augen nieder. »Beim nächsten Mal wird sie anders vorgehen. Sie wird mich selbst angreifen – oder jemanden, der mir nahe steht.«
    Um nicht allzu genau über diese letzte Bemerkung nachdenken zu müssen, fragte Maus rasch: »Was ist ein Zauber der Sieben Pforten?«
    »Einer der stärksten Bannzauber, die es gibt. Er hat mich einige meiner mächtigsten Worte gekostet. Ab jetzt wird es schwieriger werden, ihr zu –«
    Draußen auf dem Korridor ertönte Lärm.
    »Wie spät ist es?«, fragte Maus alarmiert.
    »Gleich sechs Uhr dreißig. Noch anderthalb Stunden, bis das Hotel geräumt sein muss.«
    Maus sprang auf. »Wir müssen uns beeilen. Die Geheimpolizei wird alle Zimmer durchsuchen. Das tun sie immer.«
    Tamsin klopfte auf ihre Uhr. »Aber wir haben noch –«
    »Sie sagen acht, aber sie meinen sieben. Oder eher noch sechs. Ich wette, sie sind schon unterwegs und treiben die Leute aus den Zimmern.«
    Der Tumult auf dem Gang wurde lauter. Stimmen fluchten auf Russisch und Französisch. Türen schlugen.
    Tamsin raffte Maus’ Kleidung zusammen, die sie über dem Kachelofen in der Ecke zum Trocknen ausgelegt hatte. Die Uniform war stocksteif geworden. Maus ließ den Schlafanzug auf dem zerwühlten Bett liegen und begann, sich anzuziehen. Tamsin hatte ihr zusätzlich einen viel zu großen Wollpullover hingelegt – knallbunt gestreift natürlich –, gegen die Kälte im Hotel, die schlimmer denn je war. Maus hatte das Gefühl, dass von dem Pullover eine Wärme ausging, die nicht allein von der Wolle rührte.
    »Er kann dich vor dem Winter schützen«, sagte Tamsin, »nicht jedoch vor der Kälte des Anbeginns. Aber fürs Erste dürfte das reichen.«
    Maus streifte ihn über. »Danke.« Auch wenn Saum und Ärmel unter ihrer Uniformjacke hervorschauten, fühlte sie sich darin pudelwohl.
    Tamsin betrachtete sie skeptisch. »Du bist zu dünn.«
    »Hmm?«
    »Abgemagert. Knochig. Das ist nicht gut.«
    »Kann sein«, erwiderte Maus und schloss Uniformknöpfe, von denen die Goldfarbe blätterte.
    Tamsin griff nach Koffer und Schirm. »Übernimmst du die Führung?«
    Maus lief zur Tür und wollte sie öffnen. Ihre Hand lag schon auf der Klinke, als sie stehen blieb und sich noch einmal umdrehte. »Warte.«
    »Was ist?« Tamsin schaute nach, ob sie irgendetwas Wichtiges hatte liegen lassen.
    »Was hast du vor?« Maus musterte sie. So sehr sie es auch versuchte, es gelang ihr einfach nicht, Tamsin zu durchschauen. »Wenn das Hotel leer ist bis auf uns und die Königin … was willst du dann tun?«
    »Sie bekämpfen.«
    »Und die Geheimpolizei?«
    »Die lass meine Sorge sein.«
    »Und Erlen? Du hilfst mir doch, ihn zu befreien, oder?«
    »Wenn Zeit dazu ist.«
    »Wie bitte?«
    »Du hattest deine Chance.«
    »Und du deine. Trotzdem versuchst du’s nochmal.«
    »Das ist was ganz anderes.«
    »Ist es nicht.«
    Tamsin trat neben sie an die Tür. »Wir werden sehen, ja?«
    »Versprich es mir.«
    »Maus, du hast selbst gesagt, dass wir

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