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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auf Maus’ Zügen bemerkte, wiegelte sie ab. »Ich bin keine Verbrecherin, wenn du das denkst. Jedenfalls nicht nach Maßstäben des gesunden Menschenverstands. Nicht, wenn es nach so etwas wie Moral und Gerechtigkeit geht. Alle Regenten, an deren Absetzung ich, sagen wir, beteiligt war, hatten es nicht besser verdient. Sie haben ihr Volk ausgebeutet, ihr Land vor die Hunde gehen lassen und dabei selbst in Saus und Braus gelebt. Ist das vielleicht in Ordnung?«
    »Und du hast sie dafür umgebracht ?« Maus wäre am liebsten noch weiter zurückgewichen, aber hinter ihr war eine Wand.
    Tamsin winkte ab. »Die meisten sind ganz von selbst zurückgetreten. Oder sie sind eines Morgens an einem Ort aufgewacht, der wirklich sehr, sehr weit von ihrem Reich entfernt war. Mein Vater war recht einfallsreich in diesen Dingen. Rufus ist es auch. Und ich« – sie lächelte bescheiden –, »na ja, ich bin auch nicht ganz schlecht, was das angeht. Oh, und ich stricke ganz ordentlich.« Sie pfriemelte an ihrem Schal herum. »Den hier, zum Beispiel. Bunte Farben sind so toll.«
    Maus versuchte, den Kloß in ihrer Kehle herunterzuschlucken, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Sie konnte nicht glauben, was Tamsin da sagte. Und vor allem, wie sie es sagte. »Wenn uns die Geheimpolizei hier unten mit einer Bombe entdeckt, landen wir beide im Gefängnis der Stille.«
    »Ja«, sagte Tamsin skeptisch, »das wäre nicht schön. Aber immerhin, das hier ist ein wirklich gutes Versteck. Es kennt doch keiner außer dir, oder?«
    Maus schüttelte den Kopf.
    »Auch nicht Kukuschka?«
    »Nein.«
    Tamsin wühlte in ihren Manteltaschen, fand nicht, was sie suchte, und begann wieder von vorn. Diesmal ging sie gründlicher zu Werke, und schließlich entdeckte sie etwas. Aus einer Innentasche zog sie ein Stück aufgerollte Kordel.
    »Du brauchst mich nicht zu fesseln«, sagte Maus. »Ich rühr mich bestimmt nicht von der Stelle.«
    Tamsin antwortete mit einem fröhlichen Lachen. »Dich fesseln? Komm schon, Maus – was soll das? Wir sind doch Freundinnen, oder?«
    »Ich glaube, ja.«
    Tamsin löste einen Knoten und zog das eine Ende aus der Schlaufe. »Hiermit könnte man niemanden fesseln, selbst wenn man wollte. So stabil ist keine Zündschnur.«
    »Zündschnur?«, echote es über Maus’ Lippen.
    Tamsin stieß einen tiefen Seufzer aus, dann legte sie die Schnur vor dem Eisenstern am Boden ab. Sie klang plötzlich ein wenig müde, wie jemand, der sich etwas vorgenommen hat und mit einem Mal bemerkt, dass die Aufgabe schwerer ist, als er gehofft hat. »Weißt du, Maus, ich bin nicht sicher, ob du das verstehst. Aber dieses Ding hier, der Eisenstern, wie du ihn nennst, ist ein Geschenk des Himmels. Du hast mich vorhin gefragt, was ich vorhabe, wenn das Hotel geräumt ist. Ich habe gesagt, ich würde die Königin bekämpfen – aber die Wahrheit ist, ich wusste bis vor zwei Minuten noch nicht, wie ich das anstellen sollte. Ich kann sie nicht offen angreifen, dazu fehlt mir die Erfahrung. Mein Vater ist daran gescheitert, und er war mächtiger, als du dir vorstellen kannst. Diese Bombe hier ist vielleicht das letzte Mittel, das uns bleibt, um die Schneekönigin zur Strecke zu bringen.«
    Maus rutschte mit dem Rücken an der Felswand hinunter. Sie wollte nicht, dass es aussah, als hätten ihre Knie nachgegeben, deshalb zog sie am Boden rasch die Beine an und blieb sitzen. Der Pfropfen in ihrem Hals war zu groß, um ihn herunterzuwürgen. Ihre Stimme klang heiser. »Du willst das ganze Hotel in die Luft sprengen?«
    »Ich habe versucht, die Königin mit dem stärksten Zauber zu vernichten, den ich zu Stande bringen konnte, aber es hat nicht gereicht. Er mag sie noch ein wenig mehr geschwächt haben, aber … nun, sie wird gewiss nicht aufgeben.« Tamsin seufzte leise und fuhr ohne eine Spur von Verbissenheit fort: »Ich will sie umbringen für das, was sie meinem Vater angetan hat. Aber was viel wichtiger ist: Ohne den Herzzapfen wird die Königin zwar ihre Macht verlieren, aber sie wird weiterleben. Und solange sie am Leben ist, fließt die Kälte des Anbeginns aus ihr heraus, ohne dass sie oder wir oder irgendjemand sonst etwas dagegen unternehmen könnten. Du hast es selbst bemerkt. Die Kälte dort draußen und auch hier wird immer schlimmer. Und es wird nicht aufhören, sagt Väterchen Frost. Nur wenn die Königin tot ist« – ein schmales Lächeln spielte um die Lippen der Magierin – »dann hat auch die Kälte keinen Zugang mehr zur Welt. Sie

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