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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wird einfach ausgesperrt sein, verstehst du? So als würden wir im Winter ein Fenster verriegeln … Oben im Norden, in ihrer Festung, da haben Vater und ich sie nicht vernichten können. Aber das hier«, sie tätschelte den Eisenstern, »gibt uns eine zweite Chance. Eine gute Chance. Wenn wir es nicht versuchen, können wir ebenso gut einfach hier sitzen bleiben und abwarten, bis uns die Kälte holt.«
    Maus hatte Tamsins Vortrag mit offenem Mund zugehört. Das Gefährliche daran war, dass es so logisch klang. So nachvollziehbar. Und trotzdem war es falsch. Maus hatte Tamsin bisher geholfen, um Erlen vor seinem Schicksal zu bewahren. Und auch aus Freundschaft. Tamsin war ihre Freundin, irgendwie war sie das immer noch. Die Gefahr durch die Kälte des Anbeginns, der Zorn über den Tod ihres Vaters – das waren gute Gründe, etwas zu tun. Aber nicht das, was sie jetzt vorhatte. Eine Bombe zu zünden, die hunderte Menschen in den Tod reißen würde … Wie konnte Tamsin als ihre Freundin verlangen, dass Maus tatenlos dabei zusah?
    »Du musst das Hotel mit den anderen verlassen«, sagte die Magierin eindringlich. »Ich gebe dir genug Zeit, dass du verschwinden kannst. Und dann sorge ich dafür, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt. Diese Bombe ist groß genug, um den halben Newski Prospekt und das Aurora in Schutt und Asche zu legen. Wahrscheinlich noch ein paar Häuser in der Umgebung. Also kümmere dich darum, dass du weit genug weg bist. Das musst du mir versprechen.«
    »Was ist mit deinem Versprechen?«, konterte Maus verzweifelt. »Was ist mit Erlen?«
    Vielleicht war genau das der Punkt, auf den es ankam. All die gesichtslosen Menschen oben auf dem Boulevard waren nur ein unbegreifliches Gewicht in der Waagschale, Aber Erlen bedeutete Maus etwas – und Tamsin wusste das. Zu Freundschaft gehörten Respekt und, verflucht nochmal, auch das Einhalten von Versprechen! Und Tamsin hatte versprochen, dass Erlen befreit werden würde. Sich nicht daran zu halten war kein Verbrechen wie das Zünden der Bombe – es war Verrat an ihrer Freundschaft.
    Die Magierin sah Maus wortlos an. Dann griff sie abermals in eine der zahllosen Taschen ihres Mantels und kramte einen heruntergebrannten Kerzenstummel hervor, nicht länger als ein Fingernagel. Sie stellte ihn auf den höchsten Punkt des Eisensterns und entzündete den Docht mit einem Fingerschnippen.
    »Erlen ist ein Rentier, Maus. Es tut mir Leid um ihn, aber ich kann nicht das Ende der Welt von ihm abhängig machen.«
    »Das … das meinst du doch nicht ernst, oder? Er ist ein Mensch!«
    »Ist er nicht. Es mag ihm so vorkommen, obwohl ich nicht einmal das glaube. Er ist eine Täuschung. Ein Spaß, den die Königin sich aus Langeweile erlaubt hat. Früher oder später wird es sie wieder nach einem echten Jungen verlangen.«
    »Gib mir die Gelegenheit, ihn hier rauszubringen.«
    Maus sprang auf. Wut kochte in ihr wie nie zuvor in ihrem Leben. »Mehr will ich gar nicht. Du hast es versprochen!«
    Tamsin stand auf und ergriff Maus’ Hand. »Gut, du hast Zeit, solange die Kerze brennt. Dann zünde ich die Bombe.«
    Maus blickte entsetzt auf den Kerzenstummel. »Der brennt höchstens noch fünf Minuten!«
    Tamsin lächelte verlegen. »Oh, das … Ich hab keine frische Kerze mehr gefunden. Keine Sorge, ich sag ihr einfach, sie soll nach oben brennen. Dann erlischt der Docht erst, wenn die Kerze wieder vollständig ist.«
    Maus gingen zu viele Dinge durch den Kopf, als dass sie diese Behauptung infrage gestellt hätte. Magische Kerzen, die aufwärts brannten, waren im Moment ihre geringste Sorge.
    Tamsin senkte den Blick, als könnte sie dem Mädchen plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. »Es tut mir Leid, das musst du mir glauben. Aber ich weiß keinen anderen Weg. Die Schneekönigin hat meinen Vater umgebracht. Es ist meine Pflicht, seine Aufgabe zu Ende zu bringen. So ist das in meiner Familie. Wenn ich mich nicht räche, wird Rufus es tun – an ihr und an mir.«
    Maus trat von einem Fuß auf den anderen. Am Schaft des Kerzenstummels entstanden wie aus dem Nichts Wachstropfen und wanderten langsam nach oben.
    »Beeil dich«, sagte Tamsin.
    Maus nickte, sprang vorwärts – und fischte die Zündschnur unter Tamsins Hand hervor, ehe diese zugreifen konnte. Blitzschnell rannte sie weiter, um den schräg stehenden Balken im vorderen Teil des Tunnels herum, bis zum Spalt in den Weinkeller.
    Tamsin blieb vor dem Eisenstern stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

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