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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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krachen. Ein Sturmstoß packte ihn mit solcher Gewalt, dass er fünf, sechs Meter nach vorn geschleudert wurde, gegen die Wand prallte, auf die Kante einer Kommode schlug und dabei eine schwere Bronzestatue mit sich zu Boden riss; sie krachte auf sein rechtes Knie. Gequält schrie er auf, rollte ungeachtet seiner Schmerzen auf den Bauch und robbte weiter den Gang entlang, durch Schnee und glitzernden Kristalldunst.
    »Los!«, schrie Maus.
    Das Rentier setzte sich in Bewegung, während die Königin ihnen mit betörendem Lächeln entgegenblickte. Sogar in diesem Augenblick wirkte sie noch, als könnte sie nicht begreifen, weshalb irgendjemand sie nicht lieben könnte. Eisblumen umrahmten ihr Antlitz wie ein Porträt der reinen Unschuld.
    Das Rentier galoppierte auf den Mann am Boden zu. Nur noch ein paar Sekunden, dann würden sie bei ihm sein. Kukuschka kroch weiter. Pein verzerrte seine Züge, aber er nahm den Blick nicht von Maus. Seine Augen schienen sie um Verzeihung zu bitten, und sie fragte sich, wofür.
    »Ho!«, rief sie, wie sie es von den Kutschern und Schlittenführern vor dem Hotel kannte. Erlen kam neben Kukuschka zum Stehen.
    Die Königin sah zu. Sie hatte eine Braue erhoben, so als fehlte ihr jegliches Verständnis für die Szene, die sich vor ihr abspielte. Mitgefühl, Liebe und Sorge um andere waren ihr so fremd wie glühende Äquatorhitze.
    Maus sprang vom Rücken des Rentiers und fiel neben Kukuschka auf die Knie.
    »Oh, Kuku … was machst du hier nur?«
    »Ich habe dich gesucht.« Er betastete das geprellte Kniegelenk und stöhnte auf. »Zu gefährlich hier im Hotel …«
    Darüber musste er selbst beinahe lachen, aber der Schmerz ließ es zu einer Grimasse werden.
    Maus sah zur Königin hinüber und kreuzte ihren eiskalten Blick. Noch machte sie keine Anstalten, ihnen etwas anzutun. Die Kälte in ihrer Nähe würde sie alle umbringen, wenn sie nicht bald von hier fortkamen.
    »Kannst du aufstehen?«, fragte sie Kukuschka.
    Er schüttelte den Kopf, sagte aber gleich darauf: »Ich versuch’s.«
    Maus stützte ihn, so gut sie konnte, auch wenn sie sein Gewicht nicht ganz halten konnte. Irgendwie gelang es ihm, sich aufzurichten und an den Rücken des Rentiers zu lehnen. Erlen hielt ganz still, nur eines seiner Hinterbeine scharrte nervös im Schnee auf dem Teppich.
    »Du musst auf ihn rauf«, sagte Maus. »Er bringt uns von hier fort.«
    »Sieht aus, als hättest du eine Menge zu erzählen«, brachte Kukuschka stockend hervor.
    Die Königin wandte sich wieder zur Treppe. Sie hatte das Interesse an den dreien verloren. Alle Menschlichkeit, die sie bisher zur Schau getragen hatte, war nun endgültig gewichen. Sie mochte in Gestalt einer engelsgleichen Frau erscheinen, doch ihre Aura war die von etwas vollkommen Fremdem, Überirdischem. Ein Eiskristall, der auf unbegreifliche Weise zum Leben erwacht war – wundervoll anzusehen, aber unendlich kalt und mit messerscharfen Kanten.
    Kukuschka zog sich auf das Rentier und schrie, als Maus ihm half, das verletzte Bein über den Rücken zu schwingen. »Beug dich vor«, wies sie ihn an. »Und halt dich gut fest.«
    Sie wollte gerade hinter ihm aufsteigen, als ein helles Läuten erklang und für einen Augenblick sogar das Toben des Schneesturms übertönte. Sie hielt inne und sah zur Schneekönigin hinüber. Auch die Tyrannin blickte jetzt in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
    Es war die Glocke, die das Eintreffen der Liftkabine ankündigte.
    Ein metallisches Rasseln ertönte, als das Gitter zur Seite geschoben wurde. Goldlicht fiel aus dem Lift auf den Korridor, trübe gefiltert von Eis und Schnee; es verwandelte die Königin in eine schlanke Silhouette und verstärkte einen Moment lang ihre feenhafte Anmut. Sie stand genau zwischen Rentier und Lift und verstellte Maus die Sicht auf den Fahrstuhl.
    »Du …«, hauchte die Königin.
    Die lang gezogene Silbe tanzte auf den Stürmen den Korridor herab bis zu Maus. Eine Ahnung stieg in ihr auf. Ihr Herz machte einen aufgeregten Sprung.
    »Komm hoch«, keuchte Kukuschka.
    Sie zögerte noch immer.
    Die Königin löste sich von ihrem Platz vor dem Torbogen. Sie hatte Maus und dem Rentier jetzt den Rücken zugewandt und schwebte auf das Ende des Korridors zu, dem offenen Lift entgegen – und derjenigen, die jetzt aus der Kabine trat.
    Maus sprang hinter Kukuschka auf Erlens Rücken. Das Rentier eilte los, tiefer in das Schneetreiben und die unirdische Kälte hinein, der Königin und dem Tor zum

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