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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Treppenhaus entgegen.
    Etwas fiel vor dem Lift zu Boden. Ein Ding aus Leder, rechteckig. Daneben stand Tamsin. Sie schenkte Maus einen Blick, an der Königin vorbei, so als wäre diese gar nicht da, trotz all ihrer furchtbaren Macht.
    Lauft!, sagten ihre Augen.
    Verschwindet von hier, so schnell ihr könnt!
    Der Deckel des Koffers klappte hoch, als etwas in seinem Inneren sich ausdehnte, regelrecht explodierte. Doch die Bombe war es nicht. Bevor Maus noch mehr erkennen konnte, war Erlen am Torbogen, sprang schlitternd hindurch und erreichte den oberen Treppenabsatz. Die Königin und Tamsin verschwanden aus Maus’ Blickfeld, als das Rentier todesmutig versuchte, die breiten Stufen hinabzustaksen, ohne sich dabei alle Beine zu brechen.
    Tamsin, dachte Maus wie in Trance, was tust du da nur?
    Sie erhielt keine Antwort. Das Rentier stolperte weiter die Treppe hinunter, wankend und holpernd und schlitternd. Die Nordlichter blieben zurück und mit ihnen die mörderische Kälte des Obergeschosses.
    Kukuschka blickte über die Schulter nach hinten. »Was, zum Teufel –«
    »Nicht jetzt.« Sie klammerte sich noch fester an seine Taille.
    Da ertönte ein Donnern. Maus sah sich um und riss die Augen weit auf. Ihre Stimme überschlug sich.
    »Eine Lawine!«
    Eine weiße, brodelnde Mauer, eine tonnenschwere Sturzflut aus Schnee und Eis folgte ihnen die Treppe herab, ergoss sich übers Geländer, verschüttete Stufe um Stufe, viel schneller, als das Rentier auf dem ungewohnten Untergrund laufen konnte.
    »Oh nein!«, knurrte Kukuschka.
    Die Lawine holte auf, bis sie die Läufe des Rentiers fast erreichte. Zugleich aber verlor sie an Schwung – und verebbte schließlich. Die oberen zehn, fünfzehn Meter der breiten Wendeltreppe waren vollständig verschüttet, der Torbogen bis zum Rand mit Schnee versiegelt. Das Lärmen des Sturms brach schlagartig ab.
    Das Rentier stolperte weiter.
    Maus atmete auf. »Da ist noch etwas, von dem du nichts weißt«, sagte sie zu Kukuschka, als sie den zweiten Stock passierten.
    Er schaute sich um. »Was?«
    »Im Keller liegt eine Bombe.«
    Kukuschka verzog keine Miene, so als wäre er selbst zu Eis geworden.
    »Tamsin wollte sie zünden«, sagte Maus mit bebender Stimme. »Aber jetzt … jetzt ist Tamsin hier oben, und die Bombe bestimmt immer noch unten, und ich … ich weiß nicht …«
    »Ob sie einen Weg gefunden hat, sie aus der Ferne zu zünden?«, vollendete Kukuschka ihren Satz.
    Maus nickte.
    Er schloss für einen Moment die Augen. »Es soll mich hinbringen. Das Rentier, runter in den Keller. Kannst du ihm das sagen? Gehorcht es dir?«
    »Nur, wenn du mich mitnimmst«, schwindelte sie.
    »Wie du willst«, sagte er zerknirscht.
    »Und dann?«
    »Versuche ich, sie zu entschärfen.«
    Argwöhnisch starrte sie auf seinen Hinterkopf. Ihr war, als bückte er sich unmerklich weiter vor, so als ob er ihren Blick wie etwas Heißes, Unangenehmes in seinem Rücken spüren könnte. »Warum kannst du so was?«, fragte sie.
    Er zögerte, während das Rentier einen weiteren Treppenabsatz passierte. Schließlich seufzte er schuldbewusst.
    »Ich bin Polizist, Maus. Ich gehöre zur Geheimpolizei. Ich war all die Jahre lang auf dich angesetzt.«
     
    *
     
    »Warum?«
    Das Wort brauchte eine halbe Ewigkeit, ehe es sich schließlich über ihre Lippen quälte. Niemand außer ihnen war in den Fluren unterwegs. Sogar die Geheimpolizisten hatten das Hotel mittlerweile verlassen und die Türen von außen verriegelt.
    Alle bis auf einen.
    »Warum ich?« Am liebsten hätte sie Kukuschka losgelassen, aber dann wäre sie womöglich von Erlens Rücken gefallen.
    »Wir wussten immer, wer deine Mutter war«, sagte er, schaute aber dabei nach vorn. »Und dein Vater.«
    »Mein Vater?«
    Er zögerte. »Ich bin mir nicht sicher, ob das hier der richtige Zeitpunkt –«
    »Wer war mein Vater?«
    Kukuschka seufzte. »Nikolai Iwanowitsch.«
    »Der Zarenmörder?«
    »Ja.« Kukuschka schien sich zu ducken, als erwarte er, dass sie von hinten auf ihn einschlagen würde. Aber nichts lag ihr ferner. »Die beiden hatten viele Freunde. Verbündete in ihrem Kampf gegen den Zaren. Die meisten sind gefangen und hingerichtet worden. Aber wir wussten immer, dass es noch weitere geben musste … Männer und Frauen, die versuchen würden, auch den neuen Zaren zu töten. Und irgendjemand war wohl der Meinung, dass einer von ihnen dich vielleicht von hier fortholen könnte. Für die Nihilisten bis du die Tochter zweier Märtyrer. Deshalb

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