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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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…« Er schluckte, drehte dann doch den Kopf und sah ihr in die Augen. »Deshalb hat man mich auf dich angesetzt. Um zu beobachten, ob Nihilisten hier im Hotel auftauchen und Kontakt zu dir aufnehmen.«
    Das Rentier hatte das Erdgeschoss erreicht und das Haupttreppenhaus verlassen. Jetzt lief es durch den Gang, der zur Kellertreppe führte. Die Seilsperre, die signalisierte, dass hier nur Personal Zutritt hatte, war im Trubel der Räumung längst umgestürzt.
    Maus sprach wie betäubt, ganz leise und emotionslos.
    »Es ist nie einer gekommen.«
    »Nie«, sagte er.
    Erlen erreichte die Kellertreppe und lief die Stufen hinab bis zum unteren Treppenabsatz. Dort stieß er mit der Schnauze die Tür zu den Kellergängen auf. Maus war es hier unten niemals zuvor so bedrückend vorgekommen.
    »Du hast mich nur ausgenutzt«, sagte sie, »um an die Nihilisten heranzukommen.«
    »Nein!«, widersprach er. »Zu Anfang vielleicht, als ich nichts über dich wusste. Aber als du größer wurdest … da hab ich versucht, dir all diese Dinge beizubringen … Ich war wirklich einmal Lehrer. Und ich … ich habe dich immer sehr gern gehabt, Maus. Das tue ich auch jetzt noch.«
    »Wenn das stimmt, hättest du mir die Wahrheit gesagt.« Maus’ Stimme klang kühl, aber sie konnte ein Zittern nicht unterdrücken.
    »Und was dann? Du hättest nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Man hätte mich abgezogen, und dich hätten sie in irgendein Waisenhaus gesteckt.«
    Sie sagte nichts mehr, flüsterte nur dann und wann Anweisungen, wenn das Rentier eine Gabelung oder Kreuzung erreichte.
    Bald standen sie vor dem Weinkeller. Maus stieg ab, öffnete die Tür und schaltete das Licht ein. Nackte Glühbirnen flammten auf, tauchten die Gewölbe in schattenreiches Halblicht. Sie wollte nicht über Kukuschkas Geständnis nachdenken. Nicht jetzt. Aber so ganz ließen sich seine Worte nicht abschütteln.
    Nikolai Iwanowitsch. Die Nihilisten. Tochter zweier Märtyrer. Du liebe Güte …
    Statt wieder auf den Rücken des Rentiers zu steigen, lief sie vorneweg. Erlen folgte ihr, während Kukuschka zusammengesackt auf ihm saß und sich mit beiden Armen am Hals festhielt.
    Maus erreichte das letzte Weinfass und rollte es mit ausgestreckten Armen beiseite. Sie hatte Angst vor dem, was sie sehen würde. Und wenn Tamsin doch noch eine längere Zündschnur gefunden hatte und sie gerade in jenem Moment dazukamen, da sich die Glut durch die Öffnung in den Eisenstern fraß?
    »Maus!«, krächzte Kukuschka, aber sie hörte nicht auf ihn. »Geh nicht allein dort rein.«
    »Wartet hier«, sagte sie, ohne sich zum Rentier und seinem Reiter umzuschauen. Sie hatte noch immer Tränen in den Augen und wollte nicht, dass Kukuschka sie so sah. Es gab im Augenblick Wichtigeres als seinen Verrat an ihr, aber trotzdem konnte sie das Gefühl der Enttäuschung und Kränkung nicht abstreifen. Nicht einmal jetzt, als es um ihrer aller Leben ging.
    »Maus, bitte …«
    Sie ließ das Fass wieder zurückrollen, nachdem sie sich in den Spalt gezwängt hatte. Hinter sich hörte sie ein Rascheln. Kukuschka kletterte vom Rücken des Rentiers. Ein leiser Schmerzensschrei erklang, als er zu Boden polterte. Sie drehte sich trotzdem nicht um.
    Es war dunkel in der Tunnelkammer hinter dem Spalt. Die Erkenntnis, dass Tamsins Kerze erloschen war, jagte Maus einen Schauder über den Rücken. Der Eisenstern lag in absoluter Finsternis.
    Sie tastete sich an dem schrägen Balken in der Mitte des Tunnels vorbei. Ihre Fußspitzen berührten etwas Weiches. Die Kissen. Eine brennende Lunte hätte sie in der Dunkelheit sehen müssen.
    Ihre ausgestreckten Fingerspitzen berührten kaltes Metall. Ihre Hand zuckte zurück. Da war er. Groß und schwer und stachelig. Mit genug tödlicher Kraft in seinem Inneren, um den ganzen Häuserblock zu zerstören.
    Auf einmal war ihr todschlecht, sie musste würgen, hatte sich aber gleich wieder im Griff.
    »Maus!«, rief Kukuschka hinter ihr im Dunkeln. Es rumpelte, als er versuchte, das Fass zu bewegen, gefolgt von einem Fluch. Er konnte sich nicht einmal auf den Beinen halten, geschweige denn das leere Weinfass beiseite stemmen. »Sei vorsichtig!«
    Sie dachte, dass er diesen Ratschlag besser selbst befolgen sollte, bevor er sich auch noch das andere Bein verletzte. Aber sie gab keine Antwort.
    Ihr Fuß berührte etwas. Glas schepperte leise. Die Petroleumlampe!
    Maus ging in die Hocke und fand die Blechdose mit ihrem Zündzeug gleich daneben. Der Glaszylinder der

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