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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verschwunden. Nicht einmal Geheimpolizisten sah sie hinter dem Glas, obgleich sie ahnte, dass dieser Eindruck täuschte. Ganz sicher gab es keinen Schrittbreit des Boulevards, der nicht unter Beobachtung stand.
    Vor der verborgenen Tür zum bodenlosen Treppenhaus ließ Maus Erlen anhalten. Sie rutschte rückwärts über sein Hinterteil. Kukuschka hielt sie am Arm zurück, und einen Moment lang blieb sie widerwillig stehen und begegnete seinem traurigen Blick.
    »Was willst du nur da oben, Maus? Du bist zwölf. Ich hab dich nicht all die Jahre aufgezogen wie …« – er verstummte, als er um Worte kämpfte – »… wie eine Schülerin, damit du jetzt …« Er schüttelte den Kopf. »Ach, verdammt! Das ist nicht dein Kampf. Sobald draußen jemand mitbekommt, dass im Dachgeschoss etwas vor sich geht, wird die Geheimpolizei das Hotel stürmen. Und was wirst du dann tun?«
    Armer Kukuschka! Er hatte die Schneekönigin mit eigenen Augen gesehen, und doch begriff er noch immer nicht. Vielleicht wollte er auch nur nicht wahrhaben, dass die Geheimpolizei Maus’ allergeringste Sorge war.
    »Ich muss zu ihr«, sagte sie. »Zu Tamsin.«
    Selbst hier, tief im Inneren des Hotels und fernab vom Newski Prospekt, war das Donnern der trabenden Pferde auf dem Boulevard noch zu hören. Der Eisenstern war vorläufig entschärft, aber Gefahr für ihrer aller Leben bestand noch immer. Maus hatte bislang keine Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen. Doch jetzt wurde ihr bewusst, dass sich die Bedrohung gewandelt hatte. Zuvor war sie von der Bombe ausgegangen und von der Kälte des Anbeginns. Nun aber fragte sich Maus, ob ein Duell zwischen zwei so mächtigen Zauberinnen nicht weit größere Verheerung anrichten konnte als jeder Sprengstoff. Die Gefahren, die die beiden – ganz buchstäblich – heraufbeschworen, mochten um ein Vielfaches schrecklicher sein als die Zerstörungskraft des Eisensterns.
    »Du kannst ihr nicht helfen«, unterbrach Kukuschka ihren Gedankengang. Jetzt hob auch Erlen seine Rentierschnauze und stupste Maus an, als wollte er dem Mann auf seinem Rücken Recht geben.
    »Aber ich kann auch nicht einfach abwarten, was passiert«, sagte sie und ließ ihren Blick dabei von Kukuschka zu den großen braunen Augen des Rentiers wandern.
    »Tamsin geht vielleicht in den sicheren Tod, weil sie nicht gewollt hat, dass uns anderen etwas zustößt.«
    »Aber sie war diejenige, die die Bombe überhaupt erst zünden wollte!«, stieß Kukuschka verzweifelt aus.
    Maus kaute auf ihrer Unterlippe. »Sie ist meine Freundin. Trotz allem. Genauso wie Julia meine Mutter war, ganz gleich, was sie damals auch vorgehabt hat. Aber im Gegensatz zu ihr hat Tamsin eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hat.«
    »Oh«, sagte Kukuschka mit rollenden Augen, und ein wenig konnte sie ihn sogar verstehen, »wie ungemein edel von ihr! Ein Fehler! Und sie hat ihn bereut!«
    Maus streifte seufzend seine Hand ab, schenkte ihm den Schatten eines Lächelns und wollte sich zur Tür wenden.
    Ein urgewaltiges Grollen erschütterte das Hotel. Stuck regnete von der Decke. Ein riesiger Spiegel fiel von der Wand und ließ scheppernd eine Flut aus silbernem Glas über den Boden fächern. In der Ferne folgte ein dröhnendes Donnern und Bersten, das ein paar Herzschläge lang näher zu kommen schien und dann abrupt abbrach. Dafür setzte anderer Lärm ein, dumpfes, rollendes Getöse – dutzende Pferde, die scheuten und dann vielleicht in alle Richtungen sprengten –, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Prasseln außerhalb der Hotelmauern, so als regnete es Steine vom Himmel.
    Und womöglich tat es genau das.
    »Erlen«, sagte sie beschwörend zu dem Rentier, »bring Kuku hier raus!«
    Dann, bevor einer der beiden sie aufhalten konnte, huschte sie durch die Tapetentür und betrat das bodenlose Treppenhaus. Sie hörte Kukuschkas Rufe hinter sich, aber er konnte ihr aus eigener Kraft nicht folgen. Schniefend und keuchend rannte sie die riesige Wendeltreppe hinauf. Staubschwaden hingen in der Luft, Putz rieselte von der Decke. Und dann ertönte zum zweiten Mal das schreckliche Bersten.
    Einen Augenblick lang glaubte sie, der Eisenstern sei doch noch explodiert. Aber nein! Das hier war etwas anderes.
    Sie warf sich gerade noch auf die Stufen und verbarg den Kopf unter den Armen, als dem Lärm ein erneutes Prasseln folgte, diesmal nicht von Stein, sondern vom Glas, das im Zentrum des Treppenhauses in die Tiefe regnete. Etwas hatte die mächtige Glaskuppel zum

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