Frostherz
und Sankt-Caecilien-Kirche schimmerten von Grünspan. Die Altstadt duckte sich zwischen den beiden majestätischen Kirchen, ihre Gassen wirkten von hier oben noch krummer.
»Großartig«, musste Cornelius zugeben und versank regelrecht in diesem Anblick. »Hier war ich noch nie!«
»Jetzt komm«, drängte ihn Anne, die schon wieder den Eindruck hatte, das Telefon klingeln zu hören. »Sonst wird der Tee kalt.«
Ohne Einwände setzte sich Cornelius auf den ihm zugewiesenen Platz. Als er den ersten Schluck des dampfenden Getränks nahm, grinste er Anne über die Tasse hinweg schon wieder an.
»Frisch heute«, sagte er und fügte an: »Trinkst du nichts?« Sie spürte, wie sie rot anlief. Das konnte ja heiter werden. Schnell sprang sie auf. War vielleicht sowieso gut, sich kurz drinnen blicken zu lassen.
»Ach, ganz vergessen«, sagte sie kurz angebunden und wollte schon im Haus verschwinden. »Beweg dich nicht von der Stelle, ich bin gleich wieder da.«
Oje, oje, oje, dachte sie nur, während sie aus ihrem Zimmer diverse Schulbücher holte und aus der Küche eine weitere Tasse. Hoffentlich nahm er ihre Ermahnung so wörtlich, wie sie sie gemeint hatte.
Er hatte sich im Stuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen.
»Herrlich«, sagte er, als sie zurückkam. Anne nickte. Ihr war total beklommen zumute. Am liebsten hätte sie gleich das Französischbuch aufgeschlagen und ihn Vokabeln abgefragt.
»Wie lange wohnst du hier schon mit deinen Eltern?«, hörte sie ihn fragen. Sie legte das Buch auf den Tisch, schenkte sich endlich auch Tee ein. Cornelius begann zu husten.
»Ganz schön staubig, die Kekse«, erklärte er und fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum.
»Sorry, wir haben keine anderen«, sagte sie und, um vom Thema abzulenken, fuhr sie gleich fort: »Ich wohne schon immer hier. Mit meinem Vater. Meine Mutter ist vor acht Jahren gestorben. Krebs.« Cornelius hustete ein letztes Mal und versuchte, so gut es ging, mit dem heißen Tee nachzuspülen. »Oh, das tut mir leid«, sagte er.
»Ich kann mich kaum noch an sie erinnern.« Anne sah nachdenklich auf die blühenden Rhododendronsträucher. »Die Zeit rund um ihren Tod ist wie von dichten Wolken vernebelt. Man hat mir lange verheimlicht, wie krank meine Mutter tatsächlich war. Ich kann mich gerade noch so an die Beerdigung erinnern. Weißt du, was ich dachte?«
Cornelius schüttelte den Kopf. Eine Strähne fiel ihm vor die Nase, er pustete sie nach oben weg.
»Ich hab mir einfach nicht vorstellen können, dass da in dieser Grube meine Mutter drinliegen sollte. Für mich war sie auf einer Expedition am Nordpol. Ich war total sicher, dass eine Verwechslung vorliegen musste. Meine Mutter war auf einer langen, entbehrungsreichen Reise durch die Wildnis, die nicht zuließ, Kontakt aufzunehmen mit uns Daheimgebliebenen. Wie lange es dauern sollte, darüber wusste niemand Bescheid. In meinen Kopf-Geschichten sprach meine Mutter mal von einem Jahr, dann von drei oder gar fünf. Aber sie versprach, mir einen Pinguin mitzubringen, und ich glaubte fest daran – obwohl ich genau wusste, dass es Pinguine nur am Südpol gab. Die Erwachsenen waren total erstaunt, dass ich so gefasst war. Nur meine Großmutter meinte, das wäre der Beweis, wie wichtig es gewesen wäre, ›dem Kind den Anblick seiner Mutter im Krankenhaus erspart zu haben‹.«
»Krass«, sagte Cornelius ernst. »Ich kann mir natürlich nicht vorstellen, wie es ist, seine Mutter zu verlieren, aber, dass du Angst gehabt hast, schon. Meine Mutter leidet seit einigen Jahren an Rheuma. Deswegen mussten wir auch aus Bangkok weggehen. Die heißen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit waren ganz mies für sie. Das ging zum Schluss gar nicht mehr. Ich wollte nicht weg, echt nicht. Das ist meine Heimat da. Und immer heißt es ›nimm Rücksicht auf deine Mutter‹, ›denk an deine Mutter‹, ›aber für deine Mutter ist das nicht gut…‹. Ganz schön schwer manchmal, das zu ertragen. Warst du nicht auch oft wütend auf deine Ma?«
Im Haus begann das Telefon zu klingeln. Mit dem Vater-Läuten. Nicht, dass häufig jemand anrief, aber ihr Vater hatte seiner Büronummer diesen Klingelton zugeordnet, eine einschmeichelnde Flötenmelodie, aber so durchdringend, dass man sie bis ins hinterste Eck des Gartens hörte. Anne sprang auf. »Moment«, sagte sie und ging schnell rein.
»Hallo, Schatz«, sagte ihr Vater. Er klang wie immer. Anne atmete auf. »Alles klar bei dir? Hast es dir im Garten
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