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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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kommt mein Vater heim, der braucht dann sein Abendessen. Bitte, geh jetzt!« Wie eine Maus piepste sie, eine Maus, die vor der Katze um ihr Leben fleht.
    »Schon gut, schon gut«, Cornelius sah das erste Mal ein wenig irritiert und verärgert aus. »Wenn mein Besuch unerwünscht ist…«
    »Nein«, rief Anne sofort. »Du glaubst gar nicht, wie schön ich deinen Besuch fand, aber jetzt… bitte, frag mich nicht, geh einfach.«
    »Okay, Ciao.« Er wollte an ihr vorbei in Richtung Wohnzimmer gehen.
    »Bitte, Cornelius«, sie hielt ihn am Arm fest, spürte die vielen Haare auf seiner Haut, hätte ihn gern festgehalten, diesen Arm. »Bitte, geh außen ’rum. Nicht durchs Haus.« Beim Umdrehen ließ er den Kopf hängen. Als er an ihr vorbeiging, streiften sich ihre Arme. Bleib bei mir, hätte Anne am liebsten gerufen, aber ihre Kehle war ausgedörrt.
    »Bis bald«, sagte er nur und ging zur Gartentür hinaus.
    »Anne, bist du da?«, hörte sie in diesem Moment eine Stimme aus dem Wohnzimmer. Scheiße, ihr Vater.
    »Hallo«, rief sie ihm zu. »Ich bin hier draußen.« Dann entdeckte sie die zwei Teetassen auf dem Tisch. Schnell packte sie eine davon und warf sie mit Schwung über den Zaun in Richtung Felder. Keine Sekunde zu früh.
    »Hallo, Spatz«, sagte ihr Vater, kam auf sie zu und drückte ihr einen Kuss gegen die heiße, verschwitzte Schläfe.
    »Hallo, Papa!« Kling entspannt, forderte sie sich auf. »Dachte, du setzt dich ein bisschen zu mir in den Garten.« Sie deutete auf den zweiten Stuhl.
    »Komm lieber rein, draußen riskierst du ja einen Sonnenstich.«
    Cornelius spähte durch die Kiefernzweige auf die so scheinbar ganz normale Szene. Ein Vater, schlank, eher klein, akkurat geschnittener Blondschopf, in dunkelgrauem Businessanzug, ein zartes, leicht melancholisches Gesicht, dieselben blauen Augen wie seine Tochter, nahm eben diese in den Arm und begrüßte sie. Er legte den Arm um ihre Schulter und führte sie ins Haus. Cornelius schüttelte irritiert den Kopf. Dann hob er die Tasse auf, die knapp neben ihm ins Gras gefallen war. Erstaunlicherweise war sie heil geblieben.
    Was war nur mit Anne los? Nachdenklich ging er zu seinem Fahrrad und schloss es auf. Warum hatte sie ihn nicht ins Haus lassen wollen? War geradezu panisch geworden. Natürlich gab es noch immer Eltern, die ihren Kindern das Erwachsenwerden nicht erlauben wollten. Die sie streng an der Kandare hielten. Aber ihr Vater war ja gar nicht daheim gewesen. Hatte sie Angst gehabt, er würde sie überraschen? Durfte sie nicht einmal einen Jungen im Garten sitzen haben? Es schien, als sei um das Haus ein zwei Meter breiter, unsichtbarer Korridor errichtet, in dem es von Krokodilen wimmelte. Und nur Anne und ihr Vater kannten den Trick, mit dem man die Krokodile besänftigen konnte. Er verstand das einfach nicht. Einerseits hatte ihm Anne so vertrauensvoll vom Tod ihrer Mutter erzählt, andererseits hatte er nun das Gefühl, er kenne das Mädchen überhaupt nicht.
    Lass sie einfach in Ruhe , dachte eine seiner Hirnhälften. Find raus, was da los ist, dachte die andere. Einmal hatte er als Kind im Schreibtisch seines Vaters herumgekramt, ohne dessen Wissen. Mit einer Packung weißer Luftballons war er in den Garten gerannt und hatte gebettelt, sie zu bekommen. Sein Vater hatte sie ihm wortlos aus der Hand genommen und ihn dann so geohrfeigt – das einzige Mal in seinem Leben –, dass er quer durch den Garten gegen die Bambushecke geflogen war. Erst Jahre später hatte er verstanden, dass er keine Luftballons, sondern Kondome gefunden hatte. An den Schreibtisch seines Vaters war er nie wieder gegangen. Ein wenig kam er sich vor wie damals. Als habe er etwas Böses angerichtet, ohne auch nur im Entferntesten zu ahnen, dass es etwas Böses war.
    »Diane«, sprach er in sein Smartphone. »Heute…«
    Er starrte das Gerät an, nach einer Weile ließ er es sinken. Er hatte keine Lust, etwas zu sagen. Dies hier war zu real. Zu ernst. Er musste ihr helfen, das spürte er mit einem Mal ganz genau.
    Dienstag, 25.05.
    Ich schaffe es nicht. Wenn er auftaucht, bin ich klein wie ein Silberfisch. Flitze über den Boden, in die Ecken, die dunklen, damit er mich nicht sehen kann. Er sieht mich trotzdem. Ich stürze mich in die Menge. Mache Aufsehen. Denn dann kommt er nicht an mich heran. Er liebt die Dunkelheit, die Stille. In der er sich ganz auf meine Schmerzensschreie konzentrieren kann.
    Manchmal verwechsle ich alle anderen mit ihm. Dann ist jeder er. Jeder muss

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