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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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bekämpft werden. Manche haben Angst, wenn ich schreie. Wenn ich unflätig daherrede. Wenn ich remple und um mich schlage. Sie halten mich für den Angreifer, merken nicht, dass dies alles nur meiner Verteidigung dient, die immer und immer wieder eingerissen wurde.
    Und dann sage ich mir: Es ist vorbei. Seit zwei Jahren schon ist es vorbei. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich lasse das nicht mehr zu. Gebetsmühlenartig leiern die Worte durch meinen Kopf: Es ist vorbei, esistvorbeivorbeivorbeivorbei… Aber so, wie ich niemals an Gott glauben werde, kann ich auch nicht an diese Worte glauben. Wie soll es vorbei sein, wenn ich noch immer diesen Geschmack von Ekel auf der Zunge habe. Kein Wasser, kein Wein, kein Bier, kein Schnaps – nichts kann diesen widerwärtigen Geschmack davonschwemmen, ein Kuss sowieso nicht. Wer wollte auch einen Loser küssen?
    Dieses Mädchen vielleicht? Das mir hinterherstarrt und glaubt, ich merke es nicht. Das versucht, mit mir zu reden, aber ich verstehe ihre Worte nicht. Als spräche sie eine andere Sprache, in »fremden Zungen«. Dieses Mädchen, das meine Hülle abstreifen möchte, weil sie denkt, darunter verberge sich ein Mensch. Niemals wird sie diese Hülle abstreifen, denn dann kommt nur dieser ekelhafte, von Würmern durchdrungene, von Maden wimmelnde, halb verweste Leib zum Vorschein. Das hat sie nicht verdient. Zu ihr bin ich besonders grob, sie verrate ich, damit sie nicht in den Strudel des Unglücks gezogen wird, doch sie gibt vor, nichts davon zu merken. Wie ein Schatten folgt sie meinen Schritten und versteht nicht, dass ich ihr nicht als das begegnen kann, was sie selbst ist: als Mensch. Denn ich bin keiner mehr.

4. Kapitel
    In den nächsten Tagen ging sie ihm aus dem Weg. Sie war freundlich und höflich, aber er merkte wohl, dass sie sich auf keine längeren Gespräche mit ihm einlassen wollte, jedenfalls respektierte er ihre Zurückhaltung. Sie sah ihn öfter mit dieser Ami auf dem Schulhof reden. Sie hatte die Nacht nach seinem Besuch fast kein Auge zugetan. War erst schnell eingeschlafen, aber dann bald wieder aufgeschreckt. Hatte da etwas gerüttelt draußen? Nein. Heiß war ihr und sie hatte das Fenster geöffnet. Es war alles gut gegangen, Johann hatte nichts gemerkt, sagte sie sich immer wieder. Als er nach den Scherben der Tasse gefragt hatte, hatte sie gesagt, sie habe sie gleich in die Mülltonne entsorgt. Das hatte er gelten lassen. Trotzdem war sie sauer auf sich selbst, wie unüberlegt sie gehandelt hatte. Cornelius spontan einzuladen! So ein Wahnsinn! Ihr wurde kalt. Sie schloss das Fenster wieder. Sie hätte ihrem Vater die Situation erklären sollen. Dass Cornelius ein Schulkamerad mit Lernnachholbedarf war, dem sie gerne helfen würde. Dass er vertrauenswürdig sei. Wieso? Woher weißt du das?, hätte ihr Vater umgehend nachgefragt. Na ja, immerhin war er der Sohn ihres Lateinlehrers. Aber ob das ihren Vater beruhigt hätte? Wahrscheinlich hätte er wieder einen Vortrag über die Gefahren der Welt gehalten. Wo aus angeblich gutmeinenden Freunden Feinde wurden, die übelste Absichten hatten. Von Vergewaltigung und gar Mord hätte er sicher gesprochen. Dass man gar nicht vorsichtig genug sein konnte. Vor allem bei jungen Männern… Er verstünde ja, dass sie auch Kontakt zum anderen Geschlecht wünsche. Aber doch nicht mit einem Fremden ganz allein in ihrem Garten… Hin und her hatte sie sich gewälzt, geschwitzt und gefroren und schon geglaubt, krank zu werden. Und dann die Augen zusammengepresst und ihre Atemzüge gezählt. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Und irgendwann war sie auf einer Eisscholle gesessen und weit entfernt, in Richtung Festland, hatte ihre Mutter gestanden und ihr gewunken. Aber die Eisscholle war nur immer weiter und weiter abgetrieben, hinaus aufs offene Meer. Nass war ihr Kopfkissen, als sie am nächsten Morgen aufwachte.
    Als Hermann Rosen sie nach der letzten Schulstunde Latein aufhielt, dachte sie schon, er wolle wegen seines Sohnes mit ihr reden.
    »Ich habe die Todesanzeige deiner Großmutter in der Zeitung gesehen«, sagte er und sie blickte zu Boden. Als sei sie schuld daran. »Es tut mir sehr leid.«
    »Danke«, wisperte sie. Was wollte er? Sie musste zur Chorprobe, dringend.
    »Ähm, vielleicht ist es noch nicht der richtige Augenblick, das anzusprechen«, fuhr er fort und rieb eines seiner kleinen blauen Augen. »Falls dein Vater das Haus verkaufen möchte – ich hätte großes Interesse daran.«
    Anne nickte. Sie

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