Frostkuss
von meinem Standort aus sehen konnte.
Dazu kam noch der Knüller – Jasmine Ashton, die neben einem der Tische zusammengesackt war und mit gebrochenen Augen an die Decke starrte, während Logans Speer aus ihrer Brust ragte und ihr Blut den Boden unter ihr bedeckte. Direkt über ihr lag Morgan McDougall immer noch auf dem Tisch wie eine komatöse Märchenprinzessin, die darauf wartete, dass ihr Traumprinz endlich kam und sie mit einem Kuss aufweckte.
Ich verzog das Gesicht. Das würde nicht angenehm werden.
Tatsächlich wandte sich Nickamedes mir zu und zeigte anklagend mit dem Finger auf mich. »Was hast du mit meiner Bibliothek gemacht, Gwendolyn?«
Danach gab es eine Menge zu erklären. Wirklich eine Menge. Ich erzählte Professor Metis und den anderen alles, was ich über Jasmines Plan herausgefunden hatte, Morgan mit der Schale der Tränen zu kontrollieren. Wie Jasmine sich an ihrer Flittchen-Freundin hatte rächen wollen, weil sie mit Samson geschlafen hatte. Dass Jasmine behauptet hatte, sie und ihre gesamte Familie seien Schnitter, die Loki dienten.
Aber ich erzählte ihnen nicht, dass ich Nike gesehen hatte und die Göttin mir erklärt hatte, ich sei ihr Champion. Ich war mir immer noch nicht sicher, was ich davon halten sollte – oder ob es überhaupt real gewesen war und nicht nur eine Wahnvorstellung.
Irgendwann wachte Morgan aus der Zombietrance auf, in die Jasmine sie versetzt hatte. Die Walküre blinzelte, setzte sich auf, sah uns alle an und verlangte zu wissen, was hier los sei – und wer genau ihre Ballprinzessinnen-Krone gestohlen, ihr Designerkleid versaut und ihr das Gesicht zerkratzt habe. Trainer Ajax nahm sie zur Seite und bemühte sich, ihr die Lage zu erklären. Trotzdem wirkte die Walküre noch ziemlich verwirrt. So wie ich mich auch fühlte.
Während sich alle eifrig um Morgan bemühten, zeigte ich Professor Metis das Schwert, das ich aus Der Vitrine im hinteren Teil der Bibliothek genommen hatte. Das Schwert, das Nike mir in meinem Traum, meiner Vision, oder was auch immer es gewesen war, gegeben hatte. Irgendwann während des ganzen Tumults hatte Vic sein Auge wieder geschlossen, und er öffnete es nicht mehr und sprach auch nicht, egal was ich tat oder sagte oder wie sehr ich ihn anflehte, Metis zu zeigen, dass er tatsächlich ein Eigenleben besaß.
»Es ist okay, Gwen«, sagte Professor Metis, während sie das Schwert mit einem seltsamen Gesichtsausdruck ansah. »Ich glaube dir.«
Ich starrte auf die Stelle, wo sich Vics geschlossenes Auge abzeichnete. »Also, was wollen Sie damit machen? Wollen Sie es nehmen und wieder in einen der Schaukästen für Artefakte stecken?«
Metis schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, du solltest das Schwert behalten, Gwen. Zumindest für den Moment. Wir haben heute Nacht noch eine Menge zu tun, und es würde wahrscheinlich in dem Durcheinander nur verloren gehen. Wir reden später noch mal darüber, okay?«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich nahm an, dass ich Vic genauso gut behalten konnte. Auch wenn es irgendwie bizarr war, dass das Schwert mich ansehen und mit mir reden konnte.
»Ich finde, du warst heute Abend sehr mutig, Gwen«, fuhr Metis fort. Ihre grünen Augen wirkten warm und freundlich. »Weil du versucht hast, Morgan zu helfen. Deine Mutter wäre sehr stolz auf dich.«
Ich runzelte die Stirn und fragte mich wieder, warum Metis so wissend und sicher klang, wenn sie über meine Mom sprach. Aber dann fiel mir ein, wie ich bei der ersten Berührung mit dem Schwert das Gesicht meiner Mom gesehen hatte und wie sie mich scheinbar angelächelt hatte. Meine Kehle wurde eng, und ich nickte nur. Ich war auch davon überzeugt, dass meine Mom stolz auf mich gewesen wäre. Und das machte mich so glücklich wie schon lange nichts mehr.
Metis lächelte mich noch einmal an, dann ging sie zu Ajax und dem immer noch fassungslosen Nickamedes hinüber. Die drei steckten die Köpfe zusammen und sprachen darüber, wen sie anrufen mussten, wie lang es dauern würde, das Chaos in der Bibliothek zu beseitigen, und was sie diesmal mit Jasmines Leiche – der echten – tun sollten. Ich fragte mich, ob sie den Körper wohl in die Leichenhalle legen würden. Jasmine hatte behauptet, das hätten sie mit der anderen Leiche getan, der Illusionsleiche, mit der sie uns alle getäuscht hatte.
Eine halbe Stunde später stand ich abseits, während ein paar Männer in dunklen Overalls Jasmine in einen schwarzen Leichensack steckten und ihn schlossen. Die
Weitere Kostenlose Bücher