Frostkuss
machen? Ich weiß nicht mal, wie man kämpft …«
Die Göttin lächelte mich an und trat zurück. Ihr Körper schimmerte und schmolz wie die Dämmerung, wenn sie der Nacht Platz macht – oder dem kommenden Tag.
»Warte!«, rief ich. »Sag mir, was ich tun soll …«
Aber Nike war bereits verschwunden und hatte ihre Weisheit mitgenommen.
Mit einem Aufkeuchen landete ich wieder in der Realität. Ich stand an genau derselben Stelle wie zuvor, direkt vor der Vitrine, in der das Schwert gelegen hatte – das Schwert, das ich immer noch in Händen hielt.
»Können wir jetzt endlich irgendwas töten?«, wiederholte Vic in leicht quengelndem Tonfall, und mir fiel auf, dass er mit einem wirklich coolen, britischen Akzent sprach. »Es ist so lange her, dass ich Blut gekostet habe. Ich bin ausgehungert.«
Ich wurde bleich, und das nicht nur, weil das Gefühl des Schwertmundes unter meiner Handfläche wirklich total gruselig war. »Du magst tatsächlich den Geschmack von Blut …«
Ein scharfes Pfeifen hinter mir brachte mich dazu, mich zur Seite zu werfen. Ein Schwert traf mit Wucht Die Vitrine , zerschlug sie in zwei Teile und sorgte dafür, dass überall um mich herum Holzsplitter und Scherben herabregneten. Ich kämpfte mich wieder auf die Beine, nur um festzustellen, dass Jasmine sich bereits mit erhobenem Schwert zu mir umdrehte.
Als sie die Waffe in meiner Hand sah, grinste Jasmine abfällig. »Dieser Zahnstocher wird dich nicht retten, Gypsy.«
»Zahnstocher?«, murrte Vic empört. »Hat sie mich gerade einen verdammten Zahnstocher genannt? Töte sie! Töte sie jetzt!«
»Falls du irgendwelche Tipps hast, wie ich das anstellen soll, dann höre ich sie gern«, blaffte ich und hob Vic. »Weil ich bei solchem Zeug im Sportunterricht wirklich total versage.«
»Oh, phantastisch«, murmelte Vic. »Einfach nur phantastisch. Die Göttin hat mich einer dämlichen Pazifistin ausgehändigt …«
Ich hätte ihn ja darauf hingewiesen, dass ich keine Pazifistin war, sondern einfach nur total unkoordiniert, aber Jasmine stürzte sich wieder auf mich, und ihre Klinge war nur noch ein silberner Schatten. Blocken, blocken, blocken. Mehr konnte ich nicht tun, um sie davon abzuhalten, mich mit ihren wütenden Angriffen in Stücke zu hacken. Trotzdem, die Walküre war um einiges stärker als ich, und jeder einzelne Schlag fühlte sich an, als würde ich mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. Die reine Wucht der Attacken erschütterte meinen gesamten Körper, und es fiel mir schwer, auf den Beinen zu bleiben.
Verzweifelt versuchte ich mich an all die Dinge zu erinnern, die ich angeblich bei diesen Trainingskämpfen in Sport hätte lernen sollen. Ich bemühte mich, mein Schwert so zu schwingen und meine Füße so zu setzen, wie Trainer Ajax es uns gezeigt hatte.
Aber sosehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es nicht, Jasmine zu treffen. Ich konnte ihr mit meinem Schwert nicht mal einen Kratzer zufügen. Ich hielt mich schon für ziemlich gut, weil ich es schaffte, mich nicht von ihr töten zu lassen. Ich hatte in Sport genügend Kämpfe beobachtet, um zu wissen, dass Jasmine mir schon sehr, sehr bald ihr Schwert ins Herz rammen würde, wenn ich nicht schnell etwas Drastisches unternahm.
Ich starrte in ihr Gesicht, beobachtete ihre Augen, versuchte herauszufinden, was sie als Nächstes vorhatte, wie sie mich im nächsten Moment angreifen wollte. Ihre einst blauen Augen waren immer noch vollkommen rot, genau wie die des Pirschers. Wenn überhaupt war die Farbe noch kräftiger geworden, seit sie mich angegriffen hatte. Es sah aus, als wären ihre gesamten Augenhöhlen mit Blut gefüllt. Jasmines rosa Lippen waren zu einem Knurren zurückgezogen, aber in ihrem Gesicht erkannte ich eine gewisse Leere, ähnlich der ausdruckslosen Miene, die Morgan zur Schau trug. Es war, als wäre ein Teil von Jasmine überhaupt nicht mehr da, als hätte jemand oder etwas außerhalb ihres Körpers Besitz von ihr ergriffen und triebe sie an, gäbe ihr die Macht, mich zu töten.
Ich hätte darauf gewettet, dass dieses Etwas die Schale der Tränen war.
Jasmine holte wieder aus, und ich wich zurück, bis ich außerhalb ihrer Reichweite war. Sie rutschte auf einem Buch aus, das während unseres Kampfes aus dem Regal gefallen war, und ich nutzte die Chance, um über sie hinwegzuspringen und in die Mitte der Bibliothek zu rennen.
»Was tust du?«, fragte Vic. »Wieso ziehst du dich zurück? Der Kampf findet dahinten statt.«
»Halt den Mund,
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