Frostkuss
Vic!«, schrie ich über das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, während meine nackten Füße über den kalten Marmorboden rannten. »Außer du willst auch die nächsten ein oder zwei Jahrzehnte in diesem Schaukasten verbringen.«
Vic hielt den Mund.
Ich kam schlitternd vor Morgan zum Stehen, die immer noch auf dem Tisch lag und ins Leere starrte. Inzwischen war das Blut in der Schale der Tränen bis zum Rand gekocht und wirkte wie ein scharlachroter Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Was auch immer als Nächstes passieren würde, es konnte nicht gut sein. Ich konnte Jasmine nicht besiegen, aber ich konnte dieses … dieses bösartige … Ding … zerstören.
»Wird schon schiefgehen«, murmelte ich und hob Vic mit beiden Händen über den Kopf.
Jasmine rannte um ein Bücherregal, das Schwert immer noch in der Hand. Als sie sah, was ich vorhatte, erstarrte sie.
»Nein!«, schrie sie. »Nicht!«
Zu spät. Ich ließ das Schwert so fest ich konnte auf die Schale der Tränen hinuntersausen. In der Sekunde, als die Klinge die Schale berührte, erfüllte ein Schrei die Bibliothek – so laut und hoch und voller Schmerz, dass er sogar die Luft in Stücke zu reißen schien. Scharlachrotes Licht ergoss sich aus der Schale, so hell, dass ich den Blick abwenden musste.
Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was danach geschah. Das Licht brannte weiter, die Stimme schrie, und eine Hitzewelle traf mich, die so heiß war, dass ich das Gefühl hatte, meine gesamte Haut müsste sich vom Körper lösen. Aber aus irgendeinem Grund blieb das Schwert in meinen Händen eiskalt. Ich packte Vic fester und riss die Klinge hoch, als könnte sie mich vor dem intensiven Licht und der Hitze beschützen.
Irgendwie klappte das auch.
Kaum hatte ich das Schwert gehoben, ließen Licht und Hitze nach, als hätte sich die Waffe in eine Art Schild verwandelt. Ich wich ein paar Schritte zurück und zwang mich dazu, die Augen zu öffnen und mir anzusehen, was gerade geschah.
Eine wirbelnde, blutrote Wolke aus … aus … aus Magie hing mitten in der Bibliothek direkt über der Schale der Tränen. Die Wolke hob sich, als versuche sie zu entkommen, aber ich konnte sehen, dass das Ende eher einem Tornado ähnelte. Es drehte sich schneller und schneller und sog alles über sich ein. Wie ein Cartoon-Dschinn, der zurück in seine Flasche gezwungen wird, ob er nun will oder nicht.
Kurz bevor die letzten Reste der Magie zurück in die Schale der Tränen gesaugt wurden, erschien darüber ein riesiges Paar roter Augen und drehte sich langsam. Ihr Blick richtete sich direkt auf mich, sie verengten sich zu wütenden Schlitzen, und eine Welle von Gefühlen traf mich – entsetzliche Wut und abgrundtiefer Hass und Boshaftigkeit. Ich schrie auf und stolperte ein paar Schritte nach hinten. Die Augen starrten mich noch einen Moment an, bevor sie und der Rest der Magie in der Schale verschwanden.
Mir lief ein Schauder über den Rücken, weil ich wusste – ich wusste es einfach –, dass diese Augen real gewesen waren. Dass sie jemandem gehört hatten, der mich wirklich gesehen hatte. Der mich hasste. Der mich mehr als alles andere tot sehen wollte.
Loki , flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf. Der finstere Gott mochte ja in den Gefängnisgefilden festsitzen, aber irgendwie hatte Loki es heute Nacht geschafft, in die Bibliothek zu schauen – und ich hatte gerade gefühlt, wie sehr er mich zerstören wollte. Wieder schüttelte es mich.
Die magische Wolke verschwand. Genau wie das blutrote Licht. Die Schreie, der Lärm, die Magie, alles. Es war alles weg, und die Bibliothek lag einmal mehr ruhig da.
Dann rutschte die Schale der Tränen von Morgans Brust, fiel auf den Marmorboden und zerschellte in tausend Stücke.
Die Scherben der Schale der Tränen verfärbten sich schwarz, vertrockneten und fingen an sich aufzulösen, genau wie der Nemeische Pirscher bei der Bibliothek, nachdem Logan ihn getötet hatte …
Logan.
Ich drehte mich um, konnte den Spartaner aber nirgendwo entdecken. Stattdessen sah ich Jasmine, die sich wieder mit dem Schwert in der Hand auf mich stürzte.
»Du hast alles ruiniert!«, kreischte sie. »Meine Rache, mein Opfer für Loki, alles!«
Die Walküre stürmte auf mich zu, und ich wich zurück. Nur dass ich dieses Mal auf einem Buch ausrutschte. Ich schlug schwer auf dem Boden auf. Vic, das Schwert, fiel mir aus der Hand und rutschte über den kalten Marmor.
»Ich kann verdammt noch mal nicht glauben, dass sie mich schon wieder
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