Frostkuss
Walküre tat mir leid – obwohl sie versucht hatte, mich umzubringen.
Ihre beste Freundin hatte sie verraten, und ihr Freund hatte sie betrogen. Sie hatte ihren eigenen Tod vorgetäuscht, um ihnen Schuldgefühle einzuimpfen, aber der Plan war nach hinten losgegangen, und sie hatte feststellen müssen, wie wenig sie ihnen in Wahrheit bedeutete. Wie wenig sie allen bedeutete. Also hatte Jasmine beschlossen, ihre Freundin für alles bezahlen zu lassen, besonders für ihre verletzten Gefühle.
Jasmine Ashton war das reichste, schönste und beliebteste Mädchen in unserem Jahrgang gewesen, und sie hatte alles besessen, was sie sich nur wünschen konnte – außer echten Freunden.
Was Freunde anging, war ich mir ziemlich sicher, dass ich inzwischen zumindest ein paar hatte, obwohl meine Gefühle für Logan schon weit über Freundschaft hinausgeschossen waren und sich in etwas vollkommen anderes verwandelt hatten. Der Spartaner stand ein paar Schritte entfernt und unterhielt sich mit Daphne und Carson über die Geschehnisse des Abends.
Professor Metis war ebenfalls dort und sah sich Logans Verletzungen an. Sie nahm seine Hände in ihre und blickte dem Spartaner in die Augen. Während ich zusah, schlossen sich die hässlichen Kratzer in seinem Gesicht langsam, bis es wirkte, als hätte es sie nie gegeben. Genauso erging es den tieferen, blutigeren Wunden in seiner Brust. Metis hatte mir von ihrer Magie erzählt, mit der sie Leute heilen konnte. Es sah so aus, als würde es Logan in ein paar Minuten wieder gut gehen.
Trotzdem war mir noch nicht danach, mich ihnen anzuschließen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich sollte noch ein wenig länger bei Jasmine bleiben.
Eine Weile später sagte Daphne leise etwas zu den anderen, bevor sie zu mir herüberkam. Die Walküre stellte sich mit ausdruckslosem Gesicht neben mich, und wir beobachteten gemeinsam, wie einer der Männer anfing, Jasmines Blut vom Bibliotheksboden zu schrubben.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß, ihr wart befreundet.«
Daphne zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich glaube nicht, dass ich Jasmine je richtig gekannt habe. Ich hätte nie gedacht, dass sie zu irgendetwas von all dem fähig wäre.«
Ich fragte mich, ob irgendwer auf Mythos wusste, wie Jasmine wirklich gewesen war – oder ob es irgendwem etwas ausmachen würde, dass sie diesmal wirklich tot war.
»Es ist nicht deine Schuld, weißt du«, sagte Daphne leise. »Jasmine hat ihre eigenen Entscheidungen getroffen, wie sie es immer getan hat. Sie wollte sich an Morgan rächen, und sie hat beschlossen, so richtig zum Schnitter zu werden, um ihren Willen zu kriegen. Du und Logan, ihr habt euch nur verteidigt. So läuft das hier in Mythos. Leute kommen, Leute gehen, und manchmal sterben sie auch.«
»Vielleicht«, antwortete ich. »Aber Morgan und Samson haben ihr das Herz gebrochen und sie dann von vorne bis hinten belogen. Sie fanden es lustig, hielten es für eine Art Spiel, sich hinter Jasmines Rücken zu amüsieren. Also habe ich trotzdem Mitleid mit ihr, verstehst du das?«
»Ja«, sagte Daphne. »Ich verstehe.«
Für ein paar Minuten schwiegen wir.
»Also«, meinte Daphne dann. »Der Ball läuft noch auf Hochtouren, aber Carson, Logan und ich, wir gehen jetzt auf Carsons Zimmer. Er hat dionysischen Wein, den sein Vater ihm extra aus Napa geschickt hat.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Der Musikfreak hat Alk?«
Daphne lächelte. »Wer hätte das gedacht? Scheint, als gäbe es eine Menge, was ich über Carson noch nicht weiß. Aber jetzt, dank dir, werde ich es herausfinden. Also kommst du mit oder was?«
»Sicher«, sagte ich. »Gib mir nur noch eine Minute.«
Daphne nickte und ging zurück zu Carson und Logan. Metis war mit Logans Heilung fertig, und die drei Schüler verabschiedeten sich von der Professorin, gingen zur Flügeltür und verließen die Bibliothek. Metis sah ihnen noch kurz hinterher, bevor sie wieder zu Ajax ging, der sich immer noch bemühte, Nickamedes wegen des Durcheinanders in der Bibliothek zu trösten.
Niemand sah, wie ich in den hinteren Teil der Bibliothek huschte, zu der Stelle, an der die Vitrine mit dem Schwert gestanden hatte. Ich musterte kurz die Überreste aus Glas und Holz, bevor ich langsam den Kopf in den Nacken legte.
Da stand sie, auf der Galerie im ersten Stock, die mit den Statuen aller Götter und Göttinnen dekoriert war. Nikes Statue befand sich direkt über dem zerstörten Glaskasten, als hätte sie die
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