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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sprach, behinderte das die Sprachentwicklung der Kinder, was natürlich Einfluss auf die schulischen Leistungen hatte. Das galt in gewissem Sinne auch für Elías, der zwar sehr gut in Mathematik war, aber in Fächern wie Rechtschreiben und Isländisch weitaus schlechter stand.
    Óðinn weigerte sich, mit seiner Mutter über die Scheidung zu sprechen, und hörte nicht auf sie, wenn sie von seinen Pflichten sprach.
    »Das Ganze war ein Fehler«, sagte er nur, »ich hätte sie nie heiraten sollen!«
    Sigríður war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Reykjavík gezogen und stand in engem Kontakt mit Sunee und Elías, die sie als ihre Familie betrachtete. Sogar Niran, der sich sehr fremd fühlte, kam gut mit ihr aus, obwohl er sich kaum mit ihr unterhalten konnte. Sie versuchte, ihren Sohn dazu zu bewegen, Sunee bei der Scheidung das zu bezahlen, was ihr zustand, unter anderem einen Anteil an der Wohnung, aber er weigerte sich mit der Begründung, dass er die Wohnung besessen habe, bevor er Sunee kennengelernt hatte. Elías besuchte manchmal seine Großmutter und durfte bei ihr übernachten, er war ein lieber und guter Junge, der alles für seine Oma tun wollte.
    Niran verstand sich von Anfang an nicht mit seinem Stiefvater und hatte darüber hinaus große Schwierigkeiten, sich in Island einzuleben. Er war neun Jahre alt, als er von Sunees jüngerem Bruder Virote nach Island gebracht wurde. Virote blieb in Island, bekam Arbeit in der Fischverarbeitung und träumte davon, ein Thai-Restaurant zu eröffnen.
    »Niran hat Óðinn nie als seinen Vater akzeptiert, verständlicherweise«, sagte Sigríður. »Sie hatten nicht das Geringste gemeinsam.«
    »Wer ist Nirans Vater?«, warf Erlendur ein.
    Sigríður zuckte mit den Achseln. »Ich habe nie danach gefragt«, sagte sie.
    »Es muss schwierig sein für einen Jungen, in diesem Alter und unter diesen Umständen nach Island zu kommen.«
    »Natürlich war es sehr schwierig«, sagte Sigríður. »Und ist es noch. Er hat Probleme in der Schule und ist ein Außenseiter in der isländischen Gesellschaft.«
    »Es gibt noch andere Jungen wie ihn«, sagte Erlendur. »Sie suchen Schutz beieinander, weil sie einen gemeinsamen Hintergrund haben. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen und isländischen Jugendlichen im gleichen Alter, allerdings kommt es relativ selten vor und ist meist auch recht harmlos. Wir stellen aber fest, dass immer häufiger Waffen wie Schlagringe und Messer verwendet werden.«
    »Niran ist kein schlechter Junge«, sagte Sigríður, »aber ich weiß, dass Sunee sich seinetwegen Sorgen macht. Er war immer gut zu seinem Bruder. Sie hatten ein ganz besonders harmonisches Verhältnis zueinander. Darauf hat Sunee geachtet.«
    Guðný kam aus der Küche zu ihnen.
    »Sunee will sich auf den Weg machen und Niran suchen«, sagte sie. »Ich begleite sie.«
    »Selbstverständlich«, sagte Erlendur. »Trotzdem hielte ich es für besser, noch etwas länger zu warten, ob er sich nicht doch einfindet.«
    »Ich werde hierbleiben, falls er kommt«, erklärte Sigríður. »Sunee kann nicht hier herumsitzen und warten«, sagte die Dolmetscherin. »Sie muss hinaus. Sie muss etwas unternehmen.«
    »Das verstehe ich gut«, sagte Erlendur.
    Sunee stand bereits im Korridor und zog sich einen dicken Anorak an. Die Tür zum Kinderzimmer stand offen, und sie schaute hinüber, ging zur Tür und sagte etwas. Guðný und Erlendur traten näher.
    »Er hat etwas geträumt«, übersetzte die Dolmetscherin. »Als Elías heute Morgen aufgewacht ist, hat er ihr erzählt, was er heute Nacht geträumt hatte. Ein kleiner Vogel war zu ihm gekommen, und Elías hat ein Vogelhäuschen für ihn gezimmert.«
    Sunee stand in der Tür zum Kinderzimmer und sprach zu Guðný.
    »Er war ein bisschen böse auf seine Mama«, sagte die Dolmetscherin.
    Sunee blickte Erlendur an und erzählte weiter.
    »Er fühlte sich wohl in seinem Traum, denn er hatte einen Freund gefunden«, sagte die Dolmetscherin. »Er war ein bisschen böse, dass sie ihn geweckt hat. Elías hätte gern noch länger geträumt.«
    Sunee rief sich diesen letzten Morgen mit Elías in Erinnerung. Er lag im Bett und versuchte, sich an den Traum mit dem Vogel zu klammern, während er sich in seinem zu klein gewordenen Pyjama unter das zu kleine Oberbett kuschelte. Die dünnen Beinchen schauten aus der Schlafanzughose hervor. Er lag auf der Seite und starrte im Dunkeln auf die Wand. Sie hatte Licht im Zimmer gemacht, aber er streckte

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