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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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daraus vermutlich nichts werden würde. Sie antwortete, dass es nicht so schlimm sei.
    »Habt ihr eine Ahnung, was sich da abgespielt hat?«, fragte sie besorgt.
    »Nicht die geringste«, antwortete Erlendur.
    »Ich will dich nicht aufhalten, wir reden später miteinander«, sagte sie und verabschiedete sich.
    Erlendur zog den Mantel eng um sich und beeilte sich, ins Haus zu kommen. Dabei ging ihm durch den Kopf, dass Niran es bei diesem Nordwind kaum lange draußen aushalten konnte. Der eisige, trockene Sturm war schneidend. Als er hochschaute, sah er einen frostbleichen Mond.
    In der Eingangshalle war ein Mann mittleren Alters, der ziemlich erregt dem wachhabenden Beamten erklärte, dass sein Auto demoliert worden war. Der Mann beschwerte sich über die Polizei, dass ihnen so etwas egal sei, als ob es kein Verbrechen wäre, Schäden in Höhe von etlichen Tausenden zu verursachen. Erlendur bekam in der Eile nicht genau mit, um was es genau ging, aber es hörte sich so an, als sei das Auto zerkratzt worden.
    Elías’ Vater saß mit hängendem Kopf in Erlendurs Büro, ein schlanker Mann um die fünfzig mit Halbglatze, aber einigen Haarbüscheln über der Stirn. Seine Bartstoppeln waren ein paar Tage alt. Er hatte einen sehr kleinen Mund, aber große, vorspringende Zähne, was ihn etwas grobschlächtig aussehen ließ. Er stand auf, als Erlendur das Zimmer betrat, und sie begrüßten sich.
    »Óðinn«, stellte sich der Mann mit leiser Stimme vor. Seine roten Augen verrieten, dass er geweint hatte.
    Erlendur hängte seinen Mantel auf einen Bügel und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Mein aufrichtiges Beileid wegen des Jungen«, sagte er. »Es gibt wohl kaum Worte für so eine Tragödie.«
    Daraufhin schwieg er eine Weile und betrachtete den Mann. Óðinn hatte der Polizei gegenüber ausgesagt, dass er allein in seiner Wohnung an der Snorrabraut lebte. Auf dem Weg ins Büro hatte Erlendur erfahren, dass er völlig geschockt war, als die Polizei auftauchte und er die Nachricht von Elías’ Tod erhielt. Er trug abgewetzte Jeans und eine dünne, helle Windjacke und hatte einen Schal in den Farben eines ausländischen Fußballvereins um den Hals gewickelt.
    »Hast du eine Ahnung, wo sich dein Stiefsohn aufhalten könnte?«, fragte Erlendur.
    »Niran? Was ist mit ihm?«
    »Wir können ihn nicht finden. Er ist nicht nach Hause gekommen.«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte der Mann. »Ich habe …« Er brach den Satz ab.
    »Ja?«, sagte Erlendur.
    »Nichts«, sagte der Mann.
    »Wann hast du zuletzt Verbindung zu deiner Familie gehabt?«
    »Ich sehe sie ab und zu. Wir sind geschieden, wie du vielleicht weißt.«
    »Du hast keine Idee, was da heute bei den Brüdern passiert sein könnte?«
    »Ich … Das ist furchtbar, ganz einfach furchtbar … Ich hätte nie geglaubt, dass so was hierzulande passieren könnte. Ein Kind zu überfallen!«
    »Was glaubst du, was vorgefallen ist?«
    »Liegt das nicht auf der Hand? Ist das nicht ein klarer Fall von Rassismus? Gibt es etwa eine andere Erklärung dafür, ein Kind zu überfallen?«
    »Noch wissen wir keineswegs, was vorgefallen ist«, sagte Erlendur. »Du hast also nicht vor Kurzem mit den Jungen gesprochen oder sie getroffen?«
    »Nein. Ich bin neulich mit Elías ins Kino gegangen. Zu Niran hatte ich nie eine richtige Verbindung.«
    »Und du kannst dir nicht vorstellen, was passiert sein könnte?«
    Óðinn schüttelte den Kopf.
    »Geht ihr davon aus, dass Niran auch etwas passiert ist?«
    »Das wissen wir nicht, es wird nach ihm gefahndet. Fällt dir vielleicht irgendetwas dazu ein?«
    »Wo er sein könnte? Nein, gar nichts. Mir fällt gar nichts ein.«
    »Sunee ist nach der Scheidung ausgezogen«, sagte Erlendur. »Die Jungen scheinen sich in dem neuen Viertel nicht besonders gut zurechtgefunden zu haben. Wusstest du darüber Bescheid?«
    Óðinn antwortete nicht gleich.
    »Hast du nicht gewusst, dass es Probleme gab?«
    »Ich habe kaum noch Verbindung zu Sunee«, antwortete Óðinn schließlich. »Das war alles vorbei.«
    »Ich frage ja auch nach den beiden Jungen«, sagte Erlendur. »Vor allem nach deinem Sohn.«
    Óðinn schwieg.
    »Elías hing immer sehr viel mehr an seiner Mutter«, sagte er schließlich. »Wir haben uns oft über seine Erziehung gestritten, aber da hat sie sich immer durchgesetzt. Sie hat sogar einen thailändischen Namen für Elías gehabt, sie hat ihn selten Elías genannt.«
    »Sie ist weit weg von ihrer Heimat. Sie klammert sich an etwas, was sie in

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