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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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zu sein. Die Arbeitskollegen und Freunde, mit denen Erlendur gesprochen hatte, sagten nichts Schlechtes über ihn, aber einige erwähnten, dass er schon immer eine Schwäche für das weibliche Geschlecht gehabt habe, einige bezeichneten ihn als einen Schürzenjäger. Obwohl er verheiratet war, stellte er bedenkenlos anderen Frauen nach. Einer erzählte, dass sie einmal im Kollegenkreis gemeinsam ausgegangen seien, um einen draufzumachen. Der Mann habe an dem Abend heftig mit einer Frau geflirtet, die ihn offenbar auch attraktiv fand. Er hatte sich unauffällig den Ehering abgestreift und ihn in einem Blumentopf in die Erde gesteckt; am nächsten Tag musste er wieder in das Lokal, um ihn auszugraben.
    Das sei aber noch gewesen, bevor er die Frau kennenlernte, die nun verschwunden war. Erlendur ging davon aus, dass die Frau hingegen keineswegs für amouröse Abenteuer zu haben war. Der Mann hatte heftig mit ihr geflirtet und selbstverständlich geheim gehalten, dass er verheiratet war. Danach hatte sich die Affäre weiterentwickelt, viel weiter, als sie sich je hätte träumen lassen – bis es kein Zurück mehr gab. Nun waren sie aneinander gebunden, und die Frau quälte sich mit schweren Schuldgefühlen, Schwermut und Einsamkeit herum. Der Ehemann hatte keine Ahnung, was in seiner Frau vor sich ging. Als Erlendur ihn nach der psychischen Verfassung seiner Frau kurz vor ihrem Verschwinden befragte, sagte er: »Sie war richtig gut drauf. Sie hat nie etwas darüber verlauten lassen, dass es ihr schlecht ging.« Als Erlendur nachhakte und ihn darauf ansprach, dass seine Frau den Verdacht gehabt hatte, er betrüge sie nach nur zwei Jahren Ehe, zuckte er mit den Achseln, als sei das etwas, um das sich Erlendur nicht zu kümmern habe und das mit der Sache nichts zu tun habe. Als Erlendur nicht lockerließ, erklärte der Mann, das sei seine Privatangelegenheit und ginge niemand anderen etwas an.
    Es gab keine Zeugen für das Verschwinden der Frau. Sie hatte sich bei der Arbeit krankgemeldet und war tagsüber allein zu Haus. Die Kinder ihres Mannes waren bei der Mutter. Als er gegen sechs nach Hause kam, war sie nicht da. Er hatte tagsüber nicht mit ihr gesprochen. Als er im Laufe des Abends nichts von ihr hörte, wurde er unruhig und verbrachte eine schlaflose Nacht. Am nächsten Tag ging er zur Arbeit und rief in regelmäßigen Abständen zu Hause an, doch niemand nahm ab. Er telefonierte auch mit den gemeinsamen Freunden, ihren Kollegen und allen anderen, bei denen sie sich eventuell hätte aufhalten können, aber sie war nirgends aufzufinden. Der Tag verging, und es widerstrebte ihm, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Als sie jedoch am nächsten Morgen immer noch nicht aufgetaucht war, griff er endlich zum Telefon und meldete seine Frau als vermisst. Er wusste nicht einmal, was sie angehabt hatte, als sie das Haus verließ. Die Nachbarn hatten nichts bemerkt, und es stellte sich heraus, dass niemand von den gemeinsamen Bekannten und oder ihren alten Freunden etwas über ihren Verbleib wusste. Sie besaß ein eigenes Auto, aber es war nicht angerührt worden und stand vor dem Haus. Sie hatte auch kein Taxi bestellt.
    Erlendur sah im Geiste vor sich, wie sie das Haus verließ und allein und einsam in die winterliche Dunkelheit hinausging. Als er das erste Mal in das Haus kam, waren die Häuser in der Nachbarschaft mit schönen Lichterketten geschmückt, aber er ging davon aus, dass sie so etwas sicher nicht wahrgenommen hatte.
    »Wenn eine Verbindung unter solchen Umständen zustande kommt, kann man dem Partner doch nicht mehr vertrauen, verdammt noch mal«, sagte Elínborg ungehalten. So klang sie immer, wenn sie auf diesen Fall zu sprechen kamen.
    »Und da haben wir noch die Frage, was mit der vierten Frau ist«, ließ Sigurður Óli sich vernehmen. »Existiert sie tatsächlich?«
    »Der Mann streitet rundheraus ab, fremdgegangen zu sein, und ich habe nichts in der Hand, womit man es ihm nachweisen könnte«, sagte Erlendur. »Wir haben nur die Aussage der einen Freundin. Ihr gegenüber hatte die Frau den Verdacht geäußert, dass der Mann sich heimlich mit einer anderen treffe. Sie schien das alles sehr zu bereuen.«
    »Und jetzt meldet sie sich auf einmal bei dir, nachdem sie deinen Namen im Zusammenhang mit dem Mord in den Zeitungen gesehen hat?«, fragte Elínborg.
    »Ein Anruf wie aus einem Grab«, sagte Erlendur.
    Sie saßen eine Weile schweigend im Auto, während ihre Gedanken um die verschwundene Frau,

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