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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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aber auch um Sunee und den kleinen Elías kreisten.
    »Glaubst du das eigentlich wirklich?«, fragte Elínborg auf einmal. »Das mit Niran? Dass er am Tod seines Bruders beteiligt war?«
    »Nein«, sagte Erlendur, »ganz und gar nicht.«
    »Sie sorgt aber dafür, dass ihr Sohn untertauchen kann, sonst wäre sie ja wohl mit ihm daheimgeblieben«, warf Sigurður Óli ein.
    »Vielleicht hat er Angst«, sagte Erlendur. »Vielleicht haben sie beide Angst.«
    »Niran hat sich vielleicht mit einem oder mehreren angelegt, die ihm gedroht haben«, sagte Elínborg.
    »Möglich«, pflichtete Sigurður Óli bei.
    »Er muss zumindest irgendetwas gesagt haben, was diese panische Reaktion bei Sunee hervorgerufen hat«, sagte Elínborg.
    »Übrigens, wie steht es um Marian Briem?«, erkundigte sich Sigurður Óli.
    »Es geht dem Ende zu«, sagte Erlendur.
    Er stand am Fenster seines Büros in der Hverfisgata, rauchte und sah dem stiebenden Schnee auf der Straße zu. Die Dunkelheit brach herein, und der Frost umklammerte mit eisigem Griff die Stadt, deren Tempo sich jetzt verlangsamte, bevor sie schlafen ging.
    Es summte in der Telefonanlage auf seinem Schreibtisch, und ihm wurde gesagt, dass unten in der Eingangshalle ein junger Mann nach ihm fragen würde, der Sindri Snær hieß. Erlendur ließ ihn sofort zu sich heraufkommen, und bald erschien der Junge in der Tür.
    »Ich dachte, ich schau mal kurz bei dir rein, ich bin auf dem Weg zu einem Treffen«, sagte er.
    »Komm rein«, sagte Erlendur. »Was für ein Treffen?«
    »Bei den Anonymen Alkoholikern«, antwortete Sindri. »Das ist hier in der Hverfisgata.«
    »Ist dir in deinem Aufzug nicht kalt?«, fragte Erlendur und deutete auf Sindris dünne Sommerjacke.
    »Nicht besonders«, sagte Sindri.
    »Setz dich doch. Möchtest du einen Kaffee?«
    »Nein danke. Ich hab von dem Mord gehört. Arbeitest du an dem Fall?«
    »Zusammen mit anderen.«
    »Wisst ihr schon was?«
    »Nein.«
    Sindri war vor einiger Zeit aus den Ostfjorden, wo er in einer Fischfabrik gearbeitet hatte, nach Reykjavík gezogen. Im Osten war ihm etwas über seinen Vater und das furchtbare Schicksal des Bruders zu Ohren gekommen. Er hatte auch erfahren, dass Erlendur alle paar Jahre in den Osten fuhr, um dort in den Bergen zu wandern, wo er als Kind beinahe umgekommen war. Sindri war seinem Vater gegenüber nicht so nachtragend wie Eva Lind. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er noch überhaupt nichts von ihm wissen wollen. Jetzt kam es aber hin und wieder vor, dass er bei ihm hereinschneite, sowohl zu Hause als auch im Dezernat.
    »Hast du was von Eva gehört?«, fragte Sindri.
    »Sie hat angerufen und nach Valgerður gefragt.«
    »Deiner Frau?«
    »Sie ist nicht meine Frau«, erklärte Erlendur.
    »Eva sagt was anderes. Sie sagt, dass sie schon so gut wie bei dir eingezogen ist.«
    »Macht sie sich Gedanken wegen Valgerður?«
    Sindri nickte und holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht denkt sie, dass sie dir wichtiger ist.«
    »Wichtiger ist? Wichtiger als wer?«
    Sindri inhalierte tief und blies den Rauch durch die Nase aus.
    »Als sie?«, fragte Erlendur.
    Sindri zuckte mit den Achseln.
    »Hat sie das dir gegenüber angedeutet?«
    »Nein«, sagte Sindri.
    »Eva hat sich lange nicht bei mir gemeldet, abgesehen von diesem Anruf gestern. Glaubst du, dass das der Grund dafür ist?«
    »Möglich. Ich hab das Gefühl, sie versucht, sich jetzt hochzurappeln. Sie ist nicht mehr mit diesem Dealer zusammen, und sie hat mir gesagt, dass sie sich wieder einen Job suchen will.«
    »Haben wir das nicht schon mal gehört?«
    »Ja.«
    »Und wie geht’s dir?«
    »Super«, erklärte Sindri und stand auf. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus. »Hast du vor, in diesem Sommer wieder in die Ostfjorde zu fahren?«
    »Ich habe noch keinen Gedanken daran verschwendet. Warum?«
    »Nur so. Ich hab mir mal das Haus angeschaut, als ich da im Osten gearbeitet habe. Kann mich nicht erinnern, ob ich es dir schon gesagt habe.«
    »Der Hof ist verlassen.«
    »Macht einen trostlosen Eindruck. Vielleicht auch, weil man weiß, weswegen ihr weggezogen seid.«
    Sindri öffnete die Tür. »Du sagst mir vielleicht, wenn du wieder in die Ostfjorde fährst?«
    Er schloss die Tür leise hinter sich, ohne die Antwort abzuwarten. Erlendur saß hinter seinem Schreibtisch und starrte auf die Tür. Er hatte das Gefühl, wieder auf den Hof zurückversetzt zu sein, dorthin, wo er auf die Welt

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