Frostnacht
sehr vieles im Zusammenhang mit diesen Leuten erinnern. Ehrlich gesagt, nur ganz wenig.«
»In meinem Beruf ist es in der Regel so, dass alles irgendwie weiterhilft, wie geringfügig die Information auch scheinen mag«, sagte Erlendur. Das hatte er einmal von einem Fernsehkommissar gehört und fand es brauchbar.
»Hat er vielleicht irgendetwas verbrochen, dieser Mann?«
»Nein«, sagte Erlendur. »Dieser Andrés hat sich an uns gewandt. Wir haben im Grunde genommen gar keine Zeit für so etwas, aber …« Erlendur zuckte mit den Achseln. Er sah, dass Helgi lächelte. Sie waren jetzt beinahe schon dicke Freunde.
»Wenn ich mich richtig erinnere, kam der Mann vom Land«, sagte Helgi. »Einmal erschien er mit ihr zusammen auf einer Eigentümerversammlung, damals gab es noch so was. Heutzutage kriegt man bloß einen Zahlungsbescheid, falls jemand sich dazu aufrafft, was reparieren zu lassen, was aber sehr selten vorkommt. Das war eines der wenigen Male, wo ich ihm begegnet bin.«
»Kannst du ihn mir beschreiben?«
»Kaum. Ziemlich groß und kräftig gebaut. Machte einen ganz guten Eindruck, er war sogar ziemlich zuvorkommend, wenn ich mich richtig erinnere. Er ist dann irgendwann ausgezogen, weil sie sich, glaube ich, getrennt haben, ich weiß aber nicht, warum. Du solltest dich mit Emma unterhalten, die wohnte damals in der Wohnung gegenüber.«
»Emma?«
»Emma ist schwer in Ordnung. Sie ist vor zwanzig Jahren oder so hier ausgezogen, meldet sich aber regelmäßig, schickt einem Weihnachtskarten und was nicht alles. Sie lebt jetzt in Kópavogur. Die hat das bestimmt noch alles im Kopf. Sprich mit ihr. Ich kann mich ganz einfach nicht so gut an diese Leute erinnern.«
»War da vielleicht irgendetwas Besonderes bei dem Jungen?«
»Bei dem Jungen? Nein … Es sei denn …« Helgi zögerte.
»Ja?«, sagte Erlendur.
»Er war immer ziemlich bedrückt, der kleine Kerl, wenn ich mich recht erinnere. Ein ziemlich traurig wirkender kleiner Junge, er sah auch ziemlich vernachlässigt aus, so als würde sich niemand um ihn kümmern. Die wenigen Male, die ich versucht habe, mit ihm zu reden, hatte ich immer den Eindruck, als hätte er Angst vor mir.«
In der Nähe eines wellblechverkleideten Holzhauses an der Grettisgata stand Andrés in der winterlichen Eiseskälte und starrte auf ein Kellerfenster. Er konnte nicht zum Fenster hineinsehen und traute sich nicht näher heran. Vor rund einem halben Jahr war er dem Mann, von dem er der Kriminalpolizei erzählt hatte, bis zu diesem Haus gefolgt und hatte gesehen, wie er in der Kellerwohnung verschwand. Er war ihm von dem Wohnblock aus, wo er ihn plötzlich gesehen hatte, bis zum Bus auf den Fersen geblieben. Der Mann hatte ihm keine Beachtung geschenkt. Bei der Buszentrale am Hlemmur war er ausgestiegen, und Andrés war ihm bis zu diesem Haus nachgeschlichen.
Jetzt hielt er sich in gebührendem Abstand, vergrub die Hände in den Taschen und versuchte, sich gegen den Nordwind zu schützen. Er hatte seitdem mehrmals diesen Weg von der Busstation am Hlemmur aus zurückgelegt und herausgefunden, dass der Mann eine Zweitwohnung in der Grettisgata besaß.
Andrés vergrub die Hände tiefer in den Taschen.
Er zog die Nase hoch. Die Augen tränten vor Kälte, und er stampfte mit den Füßen auf, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
Achtzehn
Kjartan, der Isländischlehrer, war nicht zu Hause, und als sie erklärten, auf ihn warten zu wollen, sah die Frau die beiden verwundert an.
»Hier vor dem Haus?«, fragte sie mit einem Gesicht, das vor Verwunderung immer länger zu werden schien.
Erlendur zuckte die Achseln.
»Was wollt ihr eigentlich immer von Kjartan?«, fragte sie. »Es hat etwas mit dem zu tun, was in der Schule vorgefallen ist«, antwortete Elínborg. »Reine Routinesache. Wir unterhalten uns mit allen Lehrern und Schülern.«
»Aber ich dachte, ihr hättet bereits mit ihm geredet.«
»Es muss noch einmal sein«, sagte Elínborg.
Die Frau sah von einem zum anderen, und sie spürten, dass sie ihnen am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte, um sie nie wiederzusehen.
»Vielleicht ist es besser, wenn ihr hereinkommt«, sagte sie nach verlegenem Schweigen.
»Vielen Dank«, sagte Erlendur und ließ Elínborg vorgehen. Die beiden Kinder, ein Mädchen und ein Junge, sahen zu, wie sie ins Wohnzimmer gingen und dort Platz nahmen. Erlendur hätte es vorgezogen, sich im Dezernat oder in der Schule mit Kjartan zu unterhalten, aber er war ihnen den ganzen
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