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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fühlen, und ihr Kummer war nicht, daß sie älter wurde, sie litt nur darunter, daß sie nicht wußte, wie sie unbehindert ihrer Lust frönen könnte, ohne die schreckliche Gefahr der Folgen laufen zu müssen. Bis zu diesem Tage hatte sie es mit unvergleichlicher Meisterschaft verstanden, ihren Platz als reiche Witwe in der großen Welt ungeschmälert zu erhalten, wurde überall empfangen, mochte ihre Liebhaber jeden Monat wechseln, mochte sich deren ein paar oder ein halbes Dutzend zugleich halten, solange sie sie in dem Geheimnis ihres festverschlossenen Erdgeschosses in der Rue de Marignan verbarg, ohne sie je öffentlich zur Schau zu stellen. Man flüsterte sich zu, daß sie an gewissen Abenden erotischer Tollheit sich gleich den unersättlichen Kaiserinnen des alten Rom als Dienerin verkleidete, um auf den Trottoirs zweideutiger Viertel rohe Liebhaber aufzutreiben, nach deren Gewalttätigkeiten es ihr gelüstete. Sie suchte die Bestialität, es gab keine noch so brutale Umarmung, deren wollüstige Pein sie nicht kennen zu lernen begierig war. Und natürlich wuchs die Gefahr, schwanger zu werden, noch in diesen wilden Ausschweifungen mit oft betrunkenen Männern, die keinerlei Rücksichten anwendeten.
    Mathieu, zuerst überrascht von diesen vertraulichen Mitteilungen, gelangte schließlich dazu, eine Art unbehagliches Mitleid mit dieser Frau zu fühlen wie mit einer Kranken. Er mußte seinerseits unwillkürlich lächeln, wenn er an alle die unterschlagenden Männer und Frauen dachte, von denen die Welt erfüllt war, und die, trotz aller ihrer eigensinnigen Bemühungen, die Natur zu betrügen, schließlich selbst die Betrogenen waren.
    »Sie waren ja Ihrer Vorkehrungen so sicher,« sagte er mit einiger Ironie. »Sie verstehen sich also nicht mehr darauf?«
    »Kann man je sicher sein?« rief sie. »Und dann gibt es auch solche Ungeschickte, von den Umständen abgesehen. Man kann sich nicht immer hüten.«
    Sie vergaß ganz, daß sie Frau war, sie sprach wie ein Mann zum Manne, ohne jeden Rückhalt. Mit einer stolzen, leidenschaftlichen Kühnheit, in der ihre ganze unersättliche Gier aufflammte, setzte sie hinzu:
    »Im übrigen verachte und verabscheue ich diese Unterschlagungen. Gibt es etwas Gemeineres oder Dümmeres? Die Liebe wird dadurch vermindert, verdorben, vernichtet. Stellen Sie sich zwei Liebende vor, die ihren Paroxysmus überwachen, die keinen andern Gedanken im Kopfe haben als den, sich ja nur nicht bis zur Neige zu lieben. Da ist es gleich besser, einander den Rücken zu kehren, nichts anzufangen, wenn man nichts beendigen will. Ich für meinen Teil erkläre Ihnen, daß mich das empört, in Wut versetzt, und daß ich jedesmal dafür wäre, alles zu wagen, wäre nicht diese Furcht, mich zu kompromittieren, meine Ruhe zu verderben, die mich ebenso feige macht wie die andern.«
    Sie fuhr mit ihrer unvergleichlichen Ruhe fort, gab zu verstehen, daß, wenn sie perverse Gelüste gehabt habe, in dem Wunsche, alle Arten von Liebe zu kosten, sie sich davon bald abgewandt habe als von belanglosen Spielereien, die sie nur irritierten und um so hungriger ließen. Und immer wieder sei sie zum Manne, zur normalen Liebe zurückgekehrt, mit der Gier eines Molochs, die nur die starken, vollständigen, endlosen Umarmungen sättigen konnten. Diese Gier war es, die sie gegen die Unterschlagungen wüten ließ, welche die Furcht vor dem Kinde ihr aufzwang, und die ihr den heißen Wunsch erweckte, ein Schutzmittel zu besitzen, welches ihr kein Opfer an Genuß auferlegen würde. Sie hing unablässig dieser Sehnsucht nach, sie träumte von Nächten ohne Furcht und ohne Rückhalt, wo sie sich frei und nach Herzenslust hingeben könnte, im rasenden Triumphe ihres Sieges über die Natur.
    Als sie wieder auf ihre Fehlgeburt zu sprechen kam, ohne zu gestehen, daß es eine willkürlich herbeigeführte gewesen, ahnte Mathieu die Wahrheit.
    »Das schlimmste ist, lieber Freund, daß diese Fehlgeburt mich ganz zerrüttet hat. Ich habe mich in ärztliche Behandlung begeben müssen und habe glücklicherweise in meiner Nähe einen jungen, sehr angenehmen, sehr anständigen und dabei ganz unbekannten Mann gefunden, einen jener Ärzte, deren es so viele gibt, den ich aber einer Berühmtheit vorziehe, weil ich mit ihm mache, was ich will, und weil ich des Geheimnisses sicherer bin, da es niemand auffällt, wenn er zu mir kommt. Er behandelt mich jetzt seit drei Monaten, und was er sagt, ist nicht sehr beruhigend, denn er behauptet, daß

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