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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht gehe.«
    Sie hörten ihm mit gebrochenem Herzen zu. Seine Worte überraschten sie nicht, sie hatten sie kommen fühlen seit ihrem Jubeltage. Und sie erbebten, sie wußten, daß sie es ihm nicht verweigern konnten, denn sie fühlten sich schuldig, dieses letzte Kind bei sich zurückbehalten zu haben, nachdem sie alle andern hergeben hatten. Ach, dieses unersättliche Leben, das ihnen diesen späten Geiz nicht gestattete, das selbst diesen verborgenen teuern Schatz von ihnen forderte, von dem ihr liebender Egoismus sich erst an der Schwelle des Grabes zu trennen meinte!
    Ein tiefes Schweigen folgte, und dann sagte Mathieu mit Anstrengung: »Mein Kind, ich kann dich nicht zurückhalten. Gehe denn, wohin das Leben dicht ruft. Wenn ich heute abend sterben sollte, würde ich dir sagen, du sollst bis morgen warten.«
    Und Marianne sagte leise: »Warum sollten wir nicht lieber gleich sterben? Wir würden dann dieses letzte Leid nicht erleben, und du würdest nur unser Andenken mitnehmen.«
    Wieder einmal sahen sie im Geiste den Friedhof von Janville, die Stätte der Ruhe, wo ihre Teuren bereits schlummerten, wo sie selber sich bald an ihre Seite betten würden. Der Gedanke hatte nichts Trauriges, sie hofften sich gleichzeitig dort zur Ruhe zu legen, an demselben Tage, denn sie konnten sich das Leben ohne einander nicht vorstellen. Und würden sie nicht fortfahren zu leben, weiterdauernd in ihren Kindern, für immer vereint, unsterblich in ihrem Geschlechte?
    »Geliebter Vater, teuerste Mutter,« sagte Benjamin wieder, »ich selbst würde morgen tot sein, wenn ich nicht ginge. Auf euer Ende zu warten, hieße das nicht es wünschen, großer Gott? Ihr müßt noch lange leben, und ich will leben wie ihr.«
    Wieder folgte ein Stillschweigen, dann sagten Mathieu und Marianne gleichzeitig: »Geh denn, mein Kind. Du hast recht, man muß leben.«
    Aber am Tage des Abschieds, welch grausamer, durchbohrender Schmerz, als sie auch dieses letzte Stück ihrer selbst, das ihnen geblieben war, von ihrem blutenden Herzen reißen mußten, um es als schwerstes Opfer dem Leben darzubringen! Es war die Erneuerung des Fortgehens Nicalas’, das Nimmermehr des auswandernden, ausfliegenden Kindes, das Ueberantworten des Samens an die Winde, um dort drüben, jenseits der Grenzen, entfernte und unbekannte Länder zu besäen.
    »Nimmermehr!« rief Mathieu weinend.
    Und Marianne wiederholte mit einem Aufschluchzen aus der Tiefe ihres Herzens:
    »Nimmermehr, nimmermehr!«
    Das war nun nicht mehr bloß die vermehrte Familie, das wieder aufgerichtete Vaterland, das für künftige Kämpfe wieder bevölkerte Frankreich, das war auch die Verbreiterung der Menschheit, die Bebauung der Wüsten, die Bevölkerung der ganzen Erde. Nach dem Vaterland die Erde. Nach der Familie die Nation, dann die Menschheit. Und welch weithintragender Flügelschlag der Phantasie, welcher Ausblick auf die Unermeßlichkeit der Welt! Der kraftvolle Atem der Ozeane, alle Düfte der jungfräulichen Kontinente wehen uns mächtig an, wie ein Hauch aus der Unendlichkeit. Kaum fünfzehnhundert Millionen heute auf den wenigen kultivierten Flächen der Erdkugel, ist das nicht jämmerlich, wenn der Leib der Erde, in seiner Gänze durch den Pflug geöffnet, die zehnfache Anzahl nähren könnte? Welch eine Beschränktheit des Blicks, die Ziffer der lebenden Menschheit auf dem gegenwärtigen Stande festhalten zu wollen, nur Veränderungen von Volk zu Volk zuzugeben, absterbende Hauptstädte wie Babylon, Memphis, Ninive, die von andern neuentstehenden, neuerblühenden beerbt werden, ohne daß die Seelenzahl sollte wachsen können! Das ist die Theorie des Todes, denn nichts bleibt auf demselben Punkte; was nicht wächst, das schwindet und verschwindet. Das Leben ist die steigende Flut, die jeden Tag die Schöpfung fortsetzt, das Werk des erhofften Glückes vollendet, wenn die Zeit sich erfüllt haben wird. Das Anschwellen und Abschwellen der Völker bezeichnet nur die Etappen der Vorwärtsbewegung; die großen, lichten Jahrhunderte, die von dunkeln verdrängt, abgelöst werden, sind nur deren einzelne Abschnitte. Immer wieder wird ein neuer Schritt gemacht, ein neues Stück Erde erobert, ein wenig mehr Leben in Tätigkeit gesetzt. Das Gesetz scheint ausgedrückt in der zweifachen Erscheinung der Fruchtbarkeit, die die Zivilisation befördert, und der Zivilisation, die die Fruchtbarkeit beschränkt. Und das Gleichgewicht wird sich daraus ergeben an dem Tage, da die Erde, vollständig

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