Fruchtbarkeit - 1
ich jetzt bei dem erstbesten Anlaß wieder schwanger werden kann, da sich etwas da drinnen verschoben oder gesenkt hat, wie ich glaube. Stellen Sie sich nun vor, daß ich unter dieser fortwährenden Drohung leben muß! Ich wage ja gar nicht mehr, einen Mann zu umarmen! Nun hat mir mein lieber Arzt eine Operation vorgeschlagen, aber ich habe Angst, wahnsinnige Angst!«
Mathieu machte eine erstaunte Gebärde.
»Ihre Krankheit ist also Ernst?«
Sie verstand und machte sich seinen Ausdruck sogleich zu eigen, indem sie eine betrübte Miene annahm.
»Ja freilich, habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich ganz zerrüttet bin? An manchen Tagen leide ich unerträgliche Schmerzen. Und wenn mein Arzt von einer Operation zu sprechen beginnt, so muß er wohl etwas Ernstes vermuten, ich weiß nicht was. Im übrigen ist er kein Chirurg, er würde mich einfach zu dem berühmten Gaude führen, damit mich dieser untersuche und mich operiere, wenn es nötig ist. Auf alle Fälle jagt mir das einen Schauer über den Rücken, und ich glaube, daß ich niemals den Mut finden werde, mich dazu herzugeben. In der Tat war ein Schatten über ihre flammenden Augen hingezogen, und ihre glühende Begierde erschauerte unter der eisigen Furcht vor dem Messer. Ihre Angst und ihre Sehnsucht nach straflosem Genüsse lagen miteinander im Kampfe.
Nachdem er sie angeblickt hatte, zweifelte Mathieu nicht mehr.
»Ich glaube zu wissen,« sagte er gelassen, »daß derlei Operationen sehr ungewiß sind. Man soll nur im äußersten Notfalle zu ihnen seine Zuflucht nehmen, wenn das Leben in Gefahr ist. Andernfalls setzen sich die armen Operierten sehr vielen Leiden, sehr großen Enttäuschungen aus.«
»Oh!« rief sie in forciertem Tone, »Sie können sich wohl vorstellen, wenn ich mich zerfleischen lasse, daß es nur im Falle unbedingter Notwendigkeit geschähe und nicht, ehe ich mich gut unterrichtet habe. Wie ich höre, soll Gaude eine der Töchter Moineauds operieren, Sie wissen ja, des Vaters Moineaud, der noch bei meinem Bruder in der Fabrik arbeitet. Wenn ich Lust dazu habe, werde ich sie nachher besuchen, um mich ein wenig zu überzeugen.«
»Eine Tochter Moineauds?« erwiderte er mit betrübtem Erstaunen. »Das könnte nur Euphrasie sein, die seit kaum vier Jahren verheiratet ist, und die bereits drei Kinder hat, wovon zwei ein Zwillingspaar. Ich habe gerade vor kurzem, um die armen Leute ein wenig zu unterstützen, Cécilie, eine der jüngeren Schwestern, zu mir genommen, die eben in ihr siebzehntes Jahr getreten ist; aber ich fürchte sehr, daß sie uns nichts nützen kann, da die geringste Anstrengung sie zwingt, das Bett zu hüten. Heutzutage sind diese Mädchen aus dem Volke nervös und schwächlich wie die Herzoginnen. Es gibt wirklich Eltern, die kein Glück mit ihren vielen Kindern haben, und das betrübt mich, denn abgesehen von den traurigen sozialen Folgen und dem Unglück für die Betroffenen benützt ihr diese Fälle, um mir gegenüber zu triumphieren, ihr alle, die ihr die Familie einschränkt, wenn ihr sie nicht ganz vernichtet.«
Sie lachte wieder heiter, alle ihre Leiden vergessend. Der Wagen hielt.
»Mir sind schon am Bahnhof! Und ich hätte Ihnen noch so viel zu erzählen! Auf alle Fälle glauben Sie nicht, wie glücklich ich bin, mich mit Ihnen versöhnt zu haben. Es war ja so widersinnig, daß Sie sich vor mir zu fürchten schienen, als ob Sie mich unfähig glaubten, Ihnen in herzlicher Freundschaft zugetan zu sein. Ich versichere Ihnen, daß es mir ein beruhigendes Gefühl ist, daß wir uns nun verstehen, und daß ich hocherfreut bin, nun einen Vertrauten zu haben, ja, einen Vertrauten, dem ich alles sagen kann. Da! Schütteln wir uns die Hände, wie zwei Männer!«
Sie reichten sich die Hände, und er sah den Wagen fortfahren, sehr überrascht von dieser Sérafine, von der er nicht vermutet hätte, daß sie so spät noch das Bedürfnis fühlen werde, eine Beichte abzulegen. Vielleicht bot ihr diese seelische Entkleidung, indem sie zu deren Zeugen einen ehemaligen Geliebten wählte, einen neuen Reiz. Und welch furchtbarem Unheil ging sie noch entgegen, in ihrer Gier nach strafloser, maßloser Sättigung!
Mainfroy, der Arzt aus der Nachbarschaft Sérafinens, war ein großgewachsener Mann von dreißig Jahren, schlank und elegant, mit geschniegeltem, ernstblickendem Gesichte, stets im Gehrock gekleidet, der im Begriffe war, sich jene Damenpraxis zu bilden, die gewissen mittelmäßigen, unbekannten Ärzten ein behagliches
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