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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Einkommen verschafft; sein Prinzip war, dem leichtesten Unwohlsein gegenüber eine ernste Miene anzunehmen und besonders die geringsten nervösen Leiden mit großer Wichtigkeit zu behandeln, alle Klagen mit unermüdlicher Geduld anzuhören, mit Medizinen nicht zu sparen und niemals dem albernen Gelüste nachzugeben, sich in den Armen einer Patientin zu vergessen; denn jede Frau, die sich ihrem Arzt ergibt, wird natürlich eine nichtzahlende Patientin. Das bildete auch seine Macht über Sérafine, sie folgte diesem hübschen jungen Manne, der kalt blieb und nicht verstehen wollte. Eines Nachts von der Zofe als Erstbester herbeigerufen, als sie infolge ihrer Fehlgeburt in eine heftige Nervenkrise verfallen war, sah er bei der ersten Untersuchung sofort, durch welche Manipulationen die Fehlgeburt herbeigeführt worden war. Aber er sagte nichts und versetzte sie in Schrecken, indem er tat, als vermute er eine Affektion, die ihr Leben zu einem qualvollen machen könnte, wenn sie chronisch würde. Er schüttelte den Kopf, sprach zurückhaltend, mit halben Worten, die auf alle möglichen schrecklichen Leiden deuteten, und sie gab sich infolgedessen ganz in seine Hände. Er glaubte sich übrigens von vollkommener beruflicher Ehrenhaftigkeit, nicht besser noch schlechter als die überwiegende Mehrzahl der andern Ärzte des Viertels; und es ist sicher, daß er persönlich niemals das Vertrauen eines Patienten mißbraucht hätte, abgesehen von den medizinischen Verhätschelungen, die er sich mit den Damen erlaubte; aber das hinderte ihn nicht, gelegentlich der Zutreiber gewisser berühmter Chirurgen zu sein, indem er ihnen Patientinnen zuführte und in voller Seelenruhe seine Provision einsteckte. Was nachher geschah, kümmerte ihn nicht. Er hatte nur als gefälliger Vermittler gedient, und es war dann Sache des Fürsten der Wissenschaft, des großen Operateurs, zu prüfen und zu handeln.
    Von da ab spielte sich durch fast ein Jahr zwischen Mainfroy und Sérafine eine stille Komödie ab, in welcher sie sich gegenseitig mit gutem Rechte für die Gefoppten halten konnten. Sie hätten selbst nicht sagen können, wer von ihnen zuerst von einer möglichen Operation gesprochen hatte. Er kam fast regelmäßig jede Woche, sie rief ihn, wenn er auf sich warten ließ, zwang ihn, die Behandlung fortzusetzen, übertrieb ihre Leiden, sprach von wahnsinnigen Schmerzen. Und da sie so sehr ungeduldig war, so waren sie dahin gelangt, häufig miteinander über jene Operation zu sprechen, die sie zweifellos von allen Unannehmlichkeiten befreien würde. Lange Zeit war er bei seinem Kopfschütteln geblieben, hatte sich zu keiner Vorhersage herbeigelassen, hatte es vorgezogen, diese gut zahlende Patientin für sich zu behalten. Aber er mußte fürchten, daß sie ihm entschlüpfe, daß sie seine Vermittlung umgehe und allein jene Erlösung aufsuche, nach der sie so heiße Sehnsucht empfand. Er verstand sie vollkommen, er war nahezu gewiß, daß ihre Schmerzen erträglich waren, daß sie sich bei der einfachen chronischen Entzündung hätte beruhigen können, von der sie übrigens längst geheilt worden wäre, wenn sie ihre Nächte weniger zügellos durchgelebt hätte. Von diesem Augenblicke an stellte er selbst sich so, als verzweifle er an der Heilung, indem er sagte, es werde zweifellos noch monatelang dauern. Außerdem könne man bei derlei Krankheiten nie bestimmt wissen: vielleicht sei eine Komplikation vorhanden, die seiner Diagnose nicht erkennbar sei. Eines Tages sprach er das Wort Zyste aus, ohne aber etwas festzustellen; und sogleich tauchte der Name Gaudes auf, die Operation war im Prinzip beschlossen. Aber es gingen noch Tage hin, denn sie gab ihrer Angst Ausdruck, einer sehr wahrhaften, tödlichen Angst, mit welcher sich auch alle Arten von Befürchtungen über die möglichen Folgen vermischten. Bei jedem seiner Besuche fragte sie ihn nun eindringlich, leidenschaftlich aus, suchte Mut zu fassen, wollte hauptsächlich wissen, was aus ihren Frauenbegierden werden würde. Freundinnen hatten ihr Furcht eingejagt, hatten ihr gesagt, daß sie dann kein Weib mehr sein würde, erkältet, unfähig zum Genusse. Dies war die Befürchtung, die ihr letztes Zögern veranlaßte: die Funktion vernichten, indem man das Organ vernichtete, das Kind vernichten – das ja, sie verfolgte keinen andern Zweck, sie würde sich nur, um davon befreit zu werden, unter das Messer begeben; aber die Begierde vernichten, den Genuß töten, welchen sie das fieberhafte

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