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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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hing ihm ganz schlaff und blöde hinunter.
    Es fiel nun unserem Helden plötzlich ein, sich vorzustellen. Er that es mit viel Anstand.
    »Mein Name ist ***. Ich wollte nur – ich wollte meine
Aufwartung
machen …«
    »Was geht denn
mich
das an?!« polterte auf einmal der würdige alte Herr. »Was
wollen
Sie überhaupt?!«
    »Entschuldigen Sie, ich …«
    »Ach was! machen Sie, daß Sie weiter kommen. Sie sind hier
total
überflüssig.
Was
, Mausi?« Dabei blinzelte er liebenswürdig zu Irma hinauf.
    {43} Nun war aber unser Held zwar nicht gerade ein Held, aber der Ton des alten Herrn war so durchaus beleidigend gewesen, – ganz abgesehen davon, daß ihn die ganze Enttäuschung überhaupt seiner guten Laune gänzlich beraubt hatte, – daß er sein Auftreten sofort veränderte.
    »Erlauben Sie, mein Herr«, sagte er ruhig und bestimmt, »ich begreife wirklich nicht, was Sie berechtigt, in dieser Weise mit mir zu sprechen, besonders da ich auf den Aufenthalt in diesem Zimmer
mindestens
ebensoviel Recht zu haben glaube, wie Sie.«
    Es war zuviel für den alten Herrn. Sowas war er nicht gewohnt. Die Unterlippe wackelte in großer Gemütsbewegung hin und her, und er schlug sich dreimal mit der Serviette aufs Knie, während er unter voller Zuhilfenahme seiner bescheidenen stimmlichen Mittel die Worte hervorstieß:
    »Sie dummer Junge Sie! Sie dummer,
dummer
Junge Sie!«
    Hatte der also Angeredete bei seiner letzten Entgegnung noch seinen Zorn zur Ruhe gemäßigt und sich die Eventualität vor Augen gehalten, der alte Herr könne ein Verwandter Irmas sein, so war es jetzt mit seiner Geduld vorbei. Das Bewußtsein seiner Stellung dem jungen Mädchen gegenüber richtete sich stolz in ihm empor. Wer der andere war, galt ihm jetzt gleich. Er war aufs Gröbste beleidigt und empfand etwas wie den guten Gebrauch seines »Hausrechtes«, als er eine kurze Wendung nach der Thür machte und mit wütender Schärfe den würdigen alten Herrn zum sofortigen Verlassen der Wohnung aufforderte.
    Der alte Herr war einen Moment sprachlos. Dann lallte er zwischen Lachen und Weinen und indem seine Augen irr im Zimmer umhergingen:
    »Nö so … was … aber … nö
sowas
 …! Herrgott, – was sagst …
du
denn eigentlich dazu?!« Dabei sah er hilfeflehend zu Irma in die Höhe, welche sich abgewandt hatte und keinen Laut von sich gab.
    {44} Als der unglückliche Greis erkannte, daß von ihr keine Unterstützung zu hoffen sei, und da ihm überdies die drohende Ungeduld, mit der sein Gegner die Bewegung nach der Thür wiederholte, nicht entging, gab er sein Spiel verloren.
    »Ich werde gehen«, sprach er mit einer edlen Resignation, »ich werde sofort gehen. Aber wir werden uns
sprechen
, Sie
Bube
Sie!«
    »
Gewiß
werden wir uns sprechen!« schrie unser Held, »
ganz
gewiß! oder glauben Sie – Herr, Sie hätten mir Ihre Beschimpfungen so umsonst an den Kopf geworfen! Vorläufig –
hinaus

    Zitternd und ächzend rang sich der alte Herr vom Stuhl in die Höhe. Die weiten Hosen schlotterten ihm um die dürren Beine. Er hielt sich die Lenden und wäre beinahe auf seinen Sitz zurückgesunken. Dies stimmte ihn sentimental.
    »Ich armer alter Mann!« wimmerte er, während er zur Thüre wankte, »ich armer,
armer
alter Mann! Diese bübische Roheit! … Oh – ä! –« und ein edler Zorn regte sich wieder in ihm – »aber wir werden … wir werden uns sprechen! Das werden wir! Das werden wir!«
    »
Werden
wir auch!« versicherte jetzt schon mehr belustigt auf dem Korridor sein grausamer Peiniger, während der alte Herr mit zitternden Händen seinen Cylinder aufsetzte, einen dicken Überzieher auf den Arm packte und damit unsicheren Schrittes die Treppe gewann. »Werden wir auch –« wiederholte der gute Junge ganz sanft, da ihm das klägliche Aussehn des alten Herrn allmählich Mitleid einflößte. »Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung«, fuhr er höflich fort, »aber nach Ihrem Auftreten gegen mich können Sie sich unmöglich über das meine wundern.« Er machte eine korrekte Verbeugung und überließ dann den alten Herrn, den er unten noch nach einem Wagen jammern hörte, seinem Schicksal. –
    Jetzt erst fiel ihm wieder ein, wer das bloß
gewesen
sein könne, {45} der verrückte alte Herr. Am Ende wirklich ein Verwandter von ihr?! Der Onkel, oder der Großvater, oder so was? Herrgott, dann war er vielleicht doch zu heftig mit ihm umgesprungen. Der alte Herr war vielleicht überhaupt, von Natur so – so

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