Frühe Erzählungen 1893-1912
er nur immer, während unmerklich die Stunden schwanden, zu ihren Füßen liegen konnte und hintüber geworfenen Kopfes ihr den Atem vom Munde trinken, – im übrigen war das ganze Leben aus, aus und vorbei. Jetzt gab es nur noch dies eine – eine, für das in den Büchern das schäbige Wort »Liebe« stand. –
Die erwähnte Position zu ihren Füßen war übrigens charakteristisch für das Verhältnis der beiden jungen Leute. Es zeigte sich darin sehr bald das ganze äußere gesellschaftliche Übergewicht der Frau von zwanzig Jahren über den Mann gleichen Alters. Er war immer derjenige, welcher in dem instinktiven Verlangen, ihr zu gefallen, sich in Worten und Bewegungen zusammennehmen mußte, um ihr richtig zu begegnen. Abgesehen von der völlig freien Hingabe der eigentlichen Liebes {38} scenen war
er
es, der während ihres einfach gesellschaftlichen Verkehrs sich nicht ganz ungezwungen geben konnte und der völligen Ungeniertheit entbehrte. Er ließ sich, teils gewiß auch aus hingebender Liebe, mehr noch aber wohl, weil er der gesellschaftlich Kleinere, Schwächere war, wie ein Kind von ihr ausschelten, um dann de- und wehmütig um Verzeihung zu bitten, bis er wieder den Kopf in ihren Schoß schmiegen durfte und sie ihm liebkosend das Haar streichelte, – mit einer mütterlichen, fast mitleidigen Zärtlichkeit. Ja er blickte, zu ihren Füßen liegend, zu ihr empor, er kam und ging, wann
sie
es wünschte, er gehorchte jeder ihrer Launen, – und sie
hatte
Launen.
»Kleiner«, sagte Rölling, »ich glaube, Du stehst unter dem Pantoffel. Mir scheint, Du bist zu
zahm
für die
wilde
Ehe!«
»Rölling, Du bist ein Esel. Das
weißt
Du nicht. Das
kennst
Du nicht. Ich
liebe
sie. Das ist das Ganze. Ich liebe sie nicht bloß – so … so, sondern ich –
liebe
sie eben, ich … ach, das läßt sich ja
gar nicht sagen
…!!«
»Du bist halt ein fabelhaft guter Kerl«, sagte Rölling.
»Ach was, Unsinn!« – – –
Ach was, Unsinn! Diese dummen Redensarten von »Pantoffel« und »zu zahm« konnte auch wieder nur Rölling machen. Der verstand auch wirklich gar nichts davon. – Was war er selbst denn? Was war
er
denn bloß?! Das Verhältnis war ja so einfach und richtig. Er konnte ja doch immer nur ihre Hände in die seinen nehmen und ihr immer aufs neue sagen: Ach, daß du mich lieb hast, daß du mich ein klein bißchen lieb hast –
wie
dank’ ich dir dafür!
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Einmal, an einem schönen, weichen Abend, als er einsam durch die Straßen wanderte, machte er wieder einmal ein Gedicht, das ihn sehr rührte. Es lautete etwa so:
{39} Wenn rings der Abendschein verglomm,
Der Tag sich still verlor,
Dann falte deine Hände fromm
Und schau zu Gott empor.
Ist’s nicht, als ruh’ auf unserm Glück
Sein Auge wehmutsvoll,
Als sagte uns sein stiller Blick,
Daß es einst sterben soll?
Daß einst, wenn dieser Lenz entschwand,
Ein öder Winter wird,
Daß an des Lebens harter Hand
Eins von dem andern irrt? –
Nein, lehn’ Dein Haupt, Dein süßes Haupt
So angstvoll nicht an meins,
Noch lacht der Frühling unentlaubt
Voll lichten Sonnenscheins!
Nein, weine nicht! Fern schläft das Leid,
O komm, o komm an mein Herz!
Noch blickt mit jubelnder Dankbarkeit
Die Liebe himmelwärts.
Aber dies Gedicht rührte ihn nicht etwa, weil er sich wirklich und ernsthaft die Eventualität eines Endes vor Augen gestellt hätte. Das wäre ja ein ganz wahnsinniger Gedanke gewesen. Recht von Herzen kamen ihm eigentlich nur die letzten Verse, wo die wehmütige Monotonie des Klangfalls in der freudigen Erregung des gegenwärtigen Glücks von raschen, freien Rhythmen durchbrochen ward. Das übrige war nur so eine musi {40} kalische Stimmung, von der er sich vage Thränen in die Augen streicheln ließ. –
– Dann schrieb er wieder Briefe an seine Familie daheim, welche sicher kein Mensch verstand. Es stand eigentlich gar nichts darin; dagegen waren sie auf das erregteste interpunktiert und strotzten besonders von einer Fülle anscheinend gänzlich unmotivierter Ausrufungszeichen. Aber irgendwie mußte er doch all sein Glück mitteilen und von sich geben, und da er, wenn er’s überlegte, in dieser Sache doch nicht ganz offen sein konnte, so hielt er sich eben an die vieldeutigen Ausrufungszeichen. Er konnte oft still selig in
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