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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Edelleuten zu tun gehabt habe und verstummte …
    Diese Geschichte war rasch in der Leute Mund gekommen, aber es hätte nur jemand wagen sollen, ein Maul darüber zu ziehen! Lächelnd oder knirschend – man nahm sie hin von Baron Harry und seinen Kameraden. Herren waren sie! Herren {386} über Hohendamm! Und so kamen die Offiziersdamen mit den »Schwalben« zusammen. – –
    Es schien, daß der Avantageur sich auch auf das Tanzen nicht besser verstand, als aufs Walzerspielen, denn er ließ sich, ohne zu engagieren, mit einer Verbeugung an einem der Tischchen nieder, neben der kleinen Baronin Anna, der Gattin Baron Harry’s, an die er einige schüchterne Worte richtete. Mit den »Schwalben« sich zu unterhalten, war der junge Mann außer stande. Er hatte eine wahre Angst vor ihnen, da er sich einbildete, daß diese Art von Mädchen ihn, was er auch sprechen mochte, befremdet ansah; und dies schmerzte den Avantageur. Da ihn aber, nach Art vieler schlaffer und untauglicher Naturen, selbst die schlechteste Musik in eine schweigsame, müdselige und brütende Stimmung versetzte, auch die Baronin Anna, der er vollständig gleichgültig war, nur zerstreute Antworten gab, so verstummten beide bald und beschränkten sich darauf, mit einem etwas starren und etwas verzerrten Lächeln, das ihnen merkwürdigerweise gemeinsam war, in das Wiegen und Kreisen des Tanzes zu blicken.
    Die Kerzen der Kronleuchter flackerten und trieften so sehr, daß sie durch knorrige und halberstarrte Stearinauswüchse ganz verunstaltet waren, und unter ihnen drehten sich und glitten zu Leutnant von Gelbsattels befeuernden Rhythmen die Paare. Mit niedergedrückten Spitzen schritten die Füße aus, wandten sich elastisch und schleiften dahin. Die langen Beine der Herren bogen sich ein wenig, federten, schnellten und schwangen sich fort. Die Röcke flogen. Die bunten Husarenjacken wirbelten durcheinander, und mit einer genußsüchtigen Kopfneigung lehnten die Damen ihre Taillen in die Arme der Tänzer.
    Baron Harry hielt eine erstaunlich hübsche »Schwalbe« ziemlich fest an seine verschnürte Brust gepreßt, indem er sein {387} Gesicht nahe dem ihrigen hielt und ihr unverwandt in die Augen blickte. Baronin Anna’s Lächeln folgte dem Paare. Dort rollte der ellenlange Leutnant von Lichterloh eine kleine, fette, kugelrunde und ungewöhnlich dekolletierte »Schwalbe« mit sich fort. Aber unter dem einen Kronleuchter tanzte wahr und wahrhaftig Frau Rittmeister von Hühnemann, die den Champagner über alle Dinge liebte, völlig selbstvergessen mit einer dritten »Schwalbe« im Kreise herum, einem niedlichen, sommersprossigen Geschöpf, dessen Gesicht über die ungewohnte Ehre über und über erstrahlte. »Liebe Baronin«, äußerte sich später Frau von Hühnemann gegen Frau Oberleutnant von Truchseß, »diese Mädchen sind garnicht ungebildet, sie zählen Ihnen alle Kavallerie-Garnisonen des Reiches an den Fingern her.« Sie tanzten miteinander, weil zwei Damen überzählig waren und beachteten garnicht, daß alles sich nach und nach vom Schauplatz zurückzog, um sie ganz allein sich produzieren zu lassen. Endlich merkten sie es dennoch und standen nebeneinander inmitten des Saales, ganz von Gelächter, Applaus und Bravorufen überschüttet …
    Dann wurde Champagner getrunken, und die Ordonnanzen liefen mit ihren weißen Handschuhen von Tisch zu Tisch, um einzuschenken. Aber dann mußten die »Schwalben« noch einmal singen, ganz einerlei, das mußten sie, ob sie nun außer Atem waren oder nicht!
    In einer Reihe standen sie auf dem Podium, das die eine Schmalseite des Saales einnahm, und machten Augen. Ihre Schultern und Arme waren nackt, und ihre Kleider waren so gearbeitet, daß sie hellgraue Westen mit dunkleren Schwalben-Fräcken darüber darstellten. Dazu trugen sie graue Zwickelstrümpfe und weit ausgeschnittene Schuhe mit gewaltig hohen Absätzen. Es waren Blonde und Schwarze, Gutmütig-Dicke und solche von interessanter Dürre, solche mit ganz {388} eigentümlich stumpf karmoisinroten Wangen und andere, die so weiß im Gesicht waren wie Clowns. Aber die hübscheste von allen war doch die kleine Bräunliche mit den Kinderarmen und den mandelförmig umrissenen Augen, mit der Baron Harry soeben getanzt hatte. Auch Baronin Anna fand, daß diese die hübscheste sei und fuhr fort, zu lächeln.
    Nun sangen die »Schwalben«, und Leutnant von Gelbsattel begleitete sie, indem er zurückgeworfenen Oberleibes den Kopf nach ihnen umwandte und dabei

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