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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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Moncef Daghfous, bereits einige Tage in Tunis verbracht hatte.
    Der Wagen hielt in einer Seitenstraße der Place de la Victoire vor einem vierstöckigen Gebäude, weiß gekalkt, mit blauen Fensterläden und einer Vielzahl schlanker Säulen und gemauerten Verzierungen im maurischen Stil. ‹L’Hôtel d’Elisha› , verkündete Saida, während der Wagenschlag aufgerissen wurde. Elisha, auch unter ihrem römischen Namen Dido bekannt, die Gründerin und Herrscherin Karthagos.»
    «Ah, Dido», Preising spitzte kennerhaft die Lippen und unterbrach seinen Gang abermals. «Von all den Göttlichen und Gottgleichen», hob er an, «war mir Dido schon immer die liebste, ja vielleicht sogar die nächste. Sie, die die unbedingte Parole ausgegeben hatte, jeder habe fürs glückliche Fortbestehen des Vaterlandes – wiewohl, du wirst mir hier beipflichten», sagte er an mich gewandt, «Mutterland im Falle Karthagos der passendere Begriff ist – freiwillig in den Tod zu gehen oder aber die Weigerung mit dem Tode zu bezahlen. Und als sie selbst, die Königin, alsbald an der Reihe war und durch ihre Einwilligung in die Heirat mit dem despotischen und vermutlich charakterlosen Iarbas, dem Sohn der Garamantis, einer libyschen Nymphe, und des Jupiters, die Stürmung Karthagos zu verhindern hatte, zögerte sie nicht lange, sondern ließ einen Scheiterhaufen errichten und entfachen und dann, so ist es auf einer herzergreifenden Illustration im Vergilius Vaticanus zu sehen, stieß sie sich auf dem lodernden Holzstoß ein Schwert in die Brust. Und daraus», fuhr er fort, mich mit flacher Hand und sanftem Druck zwischen den Schulterblättern vorwärtsschiebend, als sei ich es gewesen, der unseren Gang unterbrochen hatte, «lässt sich fürs Geschäftsleben etwas lernen. Wenn man als Geschäftsführer eine Parole ausgibt, dann hat sie zuallererst und unbedingt für einen selbst zu gelten. Wenn die Kopierkosten zu hoch sind und man mahnt einen sparsamen Gebrauch der Kopiergeräte an, dann kopiert man eben selbst weniger, und wenn einem das zu schwerfällt, dann kopiert man eben gar nicht mehr.»
    Er ließ sich also, die ersten Takte von Purcells Dido-Oper pfeifend, von der Geschäftsführerin Saida Malouch ins Hôtel d’Elisha führen, welches er konsequent als l’Hôtel Dido bezeichnete, dies sei schließlich der Name, unter dem die geliebte Königin ihrem Volk bekannt gewesen sei. Im Innern dieser kosmopolitischen Übernachtungsboutique, die in einer Vielzahl von Magazinen unter der Rubrik «Hideaway» abgebildet war, blieb das Maurische außen vor. Im Innern verließ man sich auf geschlämmte Wände und Böden aus taubenblauem Gusszement, die sich mit dunklen Dielen abwechselten, auf denen interessante Sitzgelegenheiten standen. Die Wände schmückten wenige Darstellungen der Dido aus allen Epochen.
    Das Landestypische, oder das, was sich der internationale Versteckspielende als landestypisch vorstellte, tauchte hie und da als kleines ironisches Zitat auf. Ein Fez, der auf dem Nachtkästchen als Lampenschirm diente, ein paar ornamentale Kacheln, die wie zufällig liegen gelassen im Zementboden eingegossen waren, eine kleine Troddel hier, ein bisschen geschnitztes Holz da. Und als wiederkehrendes Motiv Ochsenfelle, wie Preising mit der besonderen Freude des Wissenden registrierte.
    «Ochsenfelle», er war beim Erzählen noch ganz begeistert. «Ochsenfell, Dido, Ochsenfell? Dido und das Ochsenfell?» Ich zuckte mit den Schultern. Preising geriet in Fahrt. «Das isoperimetrische Problem oder eben auch das Dido-Problem genannt?»
    Er hatte einen Bekannten, der ihm regelmäßig Bücher über die Rätsel und Wunder der Mathematik schenkte, Fermats letzter Satz , Goldbachs Vermutung , Das Problem eines Handlungsreisenden . Preising las die Bücher, weil er gerne las, sich aber ungern vor vollen Regalen in Buchhandlungen vor die Wahl gestellt sah und er überdies Leute wie mich mit überraschenden Geschichten aus der Welt der Zahlen verblüffen konnte.
    Einer wie ich lässt sich aber nur schwer verblüffen. Das sollte er doch längst verstanden haben. Verblüffung bedeutet, die Welt als Widerstand zu erfahren, aber einer wie ich bietet zu wenig Angriffsfläche, und das galt im selben Maße auch für Preising selbst. Die Gelegenheit, die Geschichte mit Dido und dem Ochsenfell ganz en passant loszuwerden, wollte er sich dennoch nicht entgehen lassen.
    «Dido und ihre Gefährten», dozierte er, «hatten Tyros aus Furcht vor Pygmalions Zorn

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