Frühling, Freunde, freche Fohlen
kommen.“
„Es wird sicher nicht uninteressant.“ Karlchen machte ein undurchdringliches Gesicht, das einiges versprach. „ Überleg’s dir.“
„Mach ich.“
Aber bis zum Sonntag hatte Bille die Wahlversammlung wieder vergessen. Sie war schon früh in der Halle mit Hans Tiedjen verabredet, der ihre Fortschritte mit dem Hengst Dukat einmal kritisch unter die Lupe nehmen wollte; bis nach Groß- Willmsdorf drang der Wahlkundgebungsrummel nicht.
Onkel Paul hatte sich, von Mutsch angestiftet, erboten, Bille mit dem Wagen hinüberzufahren und abends wieder abzuholen. Mutsch kümmerte sich inzwischen um Zottel und Moischele , die beiden Ponys. Als Onkel Paul zurückkam, stand ein üppiges Sonntagsfrühstück auf dem Tisch.
„Ich hab mir gedacht, wir sparen uns heute mal das Mittagessen und legen es mit dem Frühstück zusammen. Das ist modern“, sagte Mutsch. „Brunch nennen sie das — aus Breakfast und Lunch zusammengesetzt. Inge und Thorsten machen das auch immer. Und hinterher machen wir einen schönen Spaziergang.“
„Einverstanden.“ Onkel Paul setzte sich an seinen Platz, betrachtete wohlwollend, was Mutsch alles auf dem Tisch aufgebaut hatte, und rieb sich vergnügt die Hände. „He, wo rennst du denn jetzt noch hin?“
„Schenk schon mal den Kaffee ein“, sagte Mutsch. „Ich hab was im Stall vergessen...“
Vom Kirchplatz her drang der Lärm der Feuerwehrkapelle, die Parteifreunde der Neuen Heimatpartei versammelten sich zu ihrer ersten großen Wahlkundgebung. Mutsch hörte die Musik, und ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann trat sie in den Stall und öffnete die Tür zu Zottels Box.
„Du magst doch sicher mal wieder einen schönen Spaziergang machen, mein Kleiner“, sagte Mutsch scheinheilig. „Aber warte, bis ich drin bin.“ Dann rannte sie ins Haus zurück.
Auf dem Kirchplatz, genau der Kirchentür gegenüber, hatte man aus vier Stangen, ein paar Brettern und Querlatten ein Podest für den Parteivorsitzenden errichtet. Es war mit einem weißen Laken zugehängt, das allerdings nicht ganz bis zum Boden reichte und so den neugierigen Blicken einen Eindruck von dem gewährte, was im weiteren Verlauf der Veranstaltung auf die geduldig Ausharrenden wartete: ein Faß Bier und etliche Platten mit belegten Brötchen. Außerdem für die Genossen im jugendlichen Alter eine Wanne mit Eiswasser, in dem Limonadeflaschen kühlten. Coca-Cola lehnte man in Kreisen der Neuen Heimatpartei selbstverständlich als fremdländisches Getränk ab.
Links von dem Podest hatte sich die Feuerwehrkapelle postiert, sie schmetterte Heimatweisen und flotte Märsche, bis auch der älteste Wedenbrucker herangeschlurft kam, um zu sehen, was auf dem Kirchplatz los war.
Herr Bösenhaupt , den spärlichen Haarrest mit viel Pomade so an den Kopf geklebt, daß er Fülle vortäuschte, hatte seinen schwarzen Anzug angezogen und die silbergraue Krawatte umgelegt, die noch von der Hochzeit seiner Tochter stammte. Frau Bösenhaupt , ebenfalls in feierlichem Schwarz mit lila Schleierhütchen und Handschuhen, sah bewundernd zu ihrem Mann auf, der jetzt das Podium bestieg und wartete, bis der Pastor die Gottesdienstbesucher an der Kirchentür verabschiedet hatte. Dann legte er los.
„Meine lieben Wedenbrucker ! Liebe Freunde unserer schönen Heimat! Wir sind hier zusammengekommen...“
Im Hintergrund entstand Unruhe. Karlchen und seine Freunde, jeder mit einem Eimer und einem Schrubber in der Hand, waren im Gleichschritt anmarschiert und gesellten sich nun zu den Zuhörern. Herr Bösenhaupt schwieg irritiert. Da die jungen Leute sich aber still verhielten und mit andächtigem Ernst zu ihm aufschauten, fuhr er in seiner Rede fort.
„... wir sind hier zusammengekommen, weil die Zeit reif ist, meine Freunde! Viele von uns spüren es seit langem schon, ja, die Zeit ist reif, daß endlich etwas geschieht, um unsere geliebte Heimat in neuem Glanz erstrahlen zu lassen! Sauberkeit für unsere Heimat, ehe sie an der durch fremde Elemente eingeschleppten Verschmutzung wie an einer schleichenden Krankheit zugrunde geht! Wenn ich...“
„Sauberkeit für unsere Heimat! Hoch! Hoch! Hoch!“ brüllten Karlchen und seine Freunde und stießen im Rhythmus ihrer Schreie die Schrubber gen Himmel.
Herr Bösenhaupt machte eine besänftigende Geste. Der Enthusiasmus der jungen Leute war erfreulich, aber doch etwas störend.
„Wenn ich von Verschmutzung rede, so meine ich natürlich, meine Freunde, die geistige
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