Fruehling
begonnen, und was ist verflossen?
Was ist verschuldet? Und was ist verziehn?
Werke II , 175
K ommt mein Frühling erst noch?
Ist er schon lange gewesen?
Keine Stimme steht auf und giebt mir Bescheid.
Über Traurigsein, Träumen und Lesen
vergeht meine Zeit.
Steht mir das noch zu tun bevor
was das Leben von mir verlangt
Werke III , 769
W enn Sie sich an die Natur halten, an das Einfache in ihr, an das Kleine, das kaum einer sieht, und das so unversehens zum Großen und Unermeßlichen werden kann; wenn Sie diese Liebe haben zu dem Geringen und ganz schlicht als ein Dienender das Vertrauen dessen zu gewinnen suchen, was arm scheint: dann wird Ihnen alles leichter, einheitlicher und irgendwie versöhnender werden, nicht im Verstande vielleicht, der staunend zurückbleibt, aber in Ihrem innersten Bewußtsein, Wach-sein und Wissen. Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Briefe I (Franz Xaver Kappus, 16. 7. 1903), 48 f.
W as mich angeht, so rechtfertige ich manchmal meine arge, labile Empfindlichkeit mit den allzufrühen Schrecknissen und Leistungen meiner Kindheit (oh, damals war ich imstand auf den Steinen zu liegen, damit Gott sich zu mir eher überwände) –, jetzt wart ich, daß manches an mir gut gemacht werde, ein gewisser eigensinniger effort des Menschlichen ist mir fremd geworden, – die Pflanze, das Ding – sie schämen sich auch nicht, wenn sie es gut und richtig haben, sie gedeihen einfach und sind, was zu sein ihnen gegeben ist, mit vollkommener Freude. Da ist meine Ausrede; aber sie will Ihrer Meinung nicht zuvor sein, ich nehm sie auch gerne zurück, wenn Sie sagen: nein, nein, – obzwar ich vermuthe, daß Sie das gerade gerne verstehen werden, da Sie ihn doch selber kennen, diesen Wunsch, im Rechte der Natur zu sein, in der Zuflucht ihres Gleichgewichts gesichert gegen die Willkür, mit der die Menschen das Ihrige gebrauchen.
Wunderly I (12. 12. 1919), 29 f.
D u mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Werke I , 153
I ch glaube, daß fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als Lähmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben hören. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem Übergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben können. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, – ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war. Man könnte uns leicht glauben machen, es sei nichts geschehen, und doch haben wir uns verwandelt, wie ein Haus sich verwandelt, in welches ein Gast eingetreten ist. Wir können nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, daß die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel näher steht als jener andere laute und zufällige Zeitpunkt, da sie uns, wie von außen her, geschieht. Je stiller, geduldiger und offener wir als Traurige sind, um so tiefer und um so unbeirrter geht das Neue in uns ein, um so besser erwerben wir es, um so mehr wird es unser Schicksal sein, und wir werden uns ihm, wenn es eines späteren Tages »geschieht« (das heißt: aus uns heraus zu den anderen tritt), im
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