Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
gehen würde. Die Wache durfte sie nicht erwischen – noch nicht, denn es war noch zu früh.
Lautes Knallen tönte durch den Wald. Es hörte sich dumpf und unglaublich schwer an. Zu gerne hätte Arrow einen Blick auf ihre Verfolger geworfen, doch wenn sie dabei den falschen Moment erwischte, hätte ihre Reise an diesem Punkt zu Ende sein können. Die Wache durfte ihr nicht in die Augen sehen. William sagte, dass es sie verraten würde.
Der Wolf hielt inne. Ganz deutlich spürte Arrow seine Anspannung. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen und suchte den Waldboden ab. Sie konnte gerade genug sehen, ohne Gefahr zu laufen, selbst gesehen zu werden. Als sie nur wenige Meter entfernt die gewaltigen weißen Füße erblickte, fuhr es ihr durch Mark und Bein. Vorsichtig ließ sie ihren Blick weiter über den Boden schweifen. Nicht weit entfernt erkannte sie drei weitere, ebenso große Fußpaare, von denen zwei ebenfalls weiß anmutete und das dritte verrußt schwarz aussah.
Es gab keinen Zweifel, hier hatte sie es eindeutig mit Riesen zu tun und sie hatten sie umzingelt. Allerdings waren es keine Riesen in Bons Größe, sondern eindeutig solche, wie Arrow sie schon einmal im Holunderwald gesehen hatte. Die hier mussten gute sieben Meter hoch sein.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Der Fenriswolf rührte sich nicht. Er wusste keinen Ausweg. Wenn William eine Idee hatte, wie er ihr helfen konnte, so sollte er besser schnell handeln. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis ihre Identität aufflog.
Plötzlich hob der Wolf aufmerksam seinen Kopf und entspannte sich anschließend merklich. Dann ging alles ganz schnell. Mit einem großen Satz sprang er hinter einen breiten Baum und geriet ins Wanken. Arrow verlor den Halt und stürzte. Bevor sie sich orientieren konnte, wurde sie von einer rauen, knochigen Hand gepackt und in die Nische des breiten Baumstammes gepresst. Die Person entriss Arrow den Mantel und zischte mit vertraut unfreundlicher Stimme: „Nicht bewegen und Klappe halten!“
Dann wurde es dunkel. Arrow wartete in der Enge ab, was geschehen würde. Der Eingang der Nische war vollkommen durch ihren Mantel verdeckt und jemand lehnte mit seinem Rücken dagegen. Arrow tat alles weh. Sie war vollkommen verkrampft vor Angst.
Seit sie zum ersten Mal im Holunderwald gewesen war, wurde sie von Alpträumen über die Kreaturen, die sie dort angetroffen hatte, geplagt. Am schlimmsten waren immer die Träume mit den Riesen. Sie verfolgten Arrow – sogar über die Grenzen des Waldes hinaus, und sie konnte sich nicht vor ihnen verstecken. Weit und breit waren nur Wiesen. Hier und da wuchs ein einzelner, einsamer Baum in der sonst so kahlen Landschaft. Doch den Riesen entging kein einziger von Arrows Bewegungen. Oft wurde sie von ihnen die ganze Nacht hindurch gehetzt, und immer endeten diese Träume damit, dass Arrow irgendwann völlig entkräftet aufgab und ihnen in die Hände fiel. Dann erwachte sie.
Einen Moment lang wünschte sie sich, dass dies einer jener Träume wäre. Sie konnte sich nicht erklären, warum es so war, aber sie fürchtete Riesen – mehr noch, als sie jemals ein anderes Geschöpf gefürchtet hatte... Abgesehen von der Merga. Dabei war sie bisher nur zweimal auf Riesen getroffen. Einer davon war Bon, der immer wieder mit Nachdruck betonte, dass er eindeutig ein Zwerg und überaus stolz darauf sei. Naja – im Vergleich mit Arrows zweiter Riesenbegegnung war er auch verhältnismäßig klein, doch auch die Riesen im Holunderwald hatten ihr nichts zuleide getan. Sie hatten Arrows Anwesenheit noch nicht einmal bemerkt, und selbst wenn das Gegenteil der Fall gewesen wäre, war Arrow sich sicher, wäre ihnen diese Tatsache auch herzlich egal gewesen. Einzige ihre Fantasie spielte ihr einen Streich und ließ sie vor Riesen erzittern, was sie wiederum als sehr ärgerlich empfand.
Schwere Schritte ließen den Waldboden erzittern. So schnell gaben die Riesen nicht auf. Immer und immer wieder suchten sie die Gegend ab. Dann herrschte plötzlich Stille.
Die Person auf der anderen Seite des Mantels bewegte sich. Arrow spürte, wie sie noch weiter in den Spalt gequetscht wurde. Ein stechender Schmerz bohrte sich in ihren Oberarm. Die ganze Zeit hatte sie dort schon ein Brennen gespürt, es aber nicht weiter beachtet. Jetzt stach es so heftig, dass ihr ganz übel wurde. Der Drang, die schmerzende Stelle betrachten zu wollen, war unglaublich groß, doch egal, welche Bemühungen sie auch unternahm
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