Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
gemeinsam.“
„Harold, hör bitte mit den Spielchen auf. Das ist nicht witzig. Was willst du hier und wie bist du in die Unterwelt gelangt?“ Sie bemühte sich um Fassung, und in ihrer Stimme hallte deutlich der Klang von Besorgnis wider.
Nachdem Harold sie einen Moment lang skeptisch gemustert hatte, entspannten sich seine grimmigen Gesichtszüge. „Ich bin hier, um die Liebe meines Lebens wiederzufinden.“
Den Lügner erkennen
„Dein Begleiter scheint sich verlaufen zu haben“, brach Harold endlich das Schweigen.
„Ich könnte es ihm nicht verdenken“, entgegnete Arrow kraftlos. „Keine Ahnung, wie lange er schon an diese grauenvolle Fessel gebunden war, aber ich an seiner Stelle würde meinen Peiniger für diese Schmerzen bezahlen lassen.“
„Ich spreche nicht von dem Fenriswolf, sondern von deinem anderen Weggefährten“, erwiderte Harold unbeeindruckt.
Arrow zuckte zusammen. „William? Soll das bedeuten, dass du ihn sehen kannst?“
Harold nickte. „Schon seit dem Moment, als du von deiner Reise zur Weltenbibliothek heimgekehrt bist.“
Arrow runzelte die Stirn. „Aber da habe selbst ich ihn noch nicht sehen können.“
„Dann hast du es wohl geschafft, ihm recht lange standzuhalten. Eine Muse zeigt sich erst, wenn man mit ihr spricht.“
„Eine Muse?“
„Ja – eine Muse. Ich nehme an, du weißt, was das ist?“
„Wenn ich mich nicht irre, sind das Geschöpfe, die Dichter und andere Künstler inspirieren. Allerdings war ich immer der Annahme, dass es sich bei Musen um ausschließlich weibliche Geister handelt.“
Genervt rollte Harold mit den Augen. „Ja, weil sie euch diesen Schwachsinn in der Menschenwelt erzählt haben. Mich wundert es allerdings, dass niemand derlei Irrtümer bei dir richtiggestellt hat.“
Arrow zuckte mit den Schultern. Früher hätte es sie auch gewundert, mehr noch – es hätte sie regelrecht verärgert. Inzwischen hatte sie sich aber weitestgehend an den Gedanken gewöhnt, dass sie auf diesem Gebiet wohl eine ewige Schülerin bleiben und ihren Mitmenschen, solange es um diese Art Wissen ging, hinterher hinken würde.
„Hätte sich die Gelegenheit dazu ergeben, wäre das bestimmt schon passiert.“
Harold lachte verächtlich. „Wenn es dabei nicht um Leben und Tod gehen würde, könnte ich dafür mit Sicherheit ein wenig Verständnis aufbringen.“
„Wie meinst du das, um Leben und Tod? Eine Muse ist doch ein gutes Wesen.“
Harold blieb stehen. Innerlich kochte er vor Wut – das war unübersehbar. Allerdings machte er sich, wie immer, auch nicht die Mühe, dies nach außen hin zu verbergen.
„Genau das habe ich damit gemeint“, zischte er mürrisch. „Die verfluchten Menschen erzählen immer nur die halbe Wahrheit, nur das, was sie sehen wollen. Natürlich sind Musen Geschöpfe, die den Künstlern und den Träumern Inspiration bringen. Das hört sich in der Theorie auch immer alles ganz wunderbar an. Wenn man allerdings noch bedenkt, dass nicht alle von Musen inspirierten Leute durchweg gute Visionen haben. Es existieren durchaus auch Wesen, die das Böse in sich tragen. Sie träumen von Mord, Verrat und davon, die Welt in Schutt und Asche zu legen.“
„Aber das würde doch keine Muse gutheißen, oder?“, fragte Arrow erschrocken.
„Darum geht es nicht“, entgegnete Harold schnippisch. „Die Kreativität ist der Muse Nahrung. Sie ist für sie überlebenswichtig wie ein loderndes Kaminfeuer in einer klirrend kalten Winternacht. Die Inspiration ist das Holz zum Nachlegen, damit das Feuer nicht erlischt. Es gilt, die Flammen so lange wie notwendig brennen zu lassen, bis kein Feuerholz mehr zur Verfügung steht. Dann verkümmert die Glut und irgendwann stirbt sie.“
Arrow entglitten die Gesichtszüge. „Was soll das heißen?“
„Dichter, Schriftsteller, Musiker oder Maler – das sind alles großartige Leute mit unglaublichen Visionen und Vorstellungen“, entgegnete Harold leidenschaftlich. „Hast du noch nie davon gehört, dass all diese Personen ein absolut außergewöhnliches, jedoch gleichzeitig auch einsames oder kurzes Leben führen? Oft wird ihnen nachgesagt verrückt gewesen zu sein. Die wenigsten Künstler können mit den unterschiedlichen Emotionen und Gefühlsausbrüchen umgehen. Kreativität ist Segen und Fluch zugleich.“
„Und das alles machen Musen?“, fragte sie ungläubig.
Harold nickte. „Ihnen bleibt keine andere Wahl. Würden sie sich dieser Methoden verweigern, hätte das ihren Tod zur Folge.
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