Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Blick, mit dem sie Arrow musterte.
„Das ist so typisch für dich“, zischte Acedia. „Am Anfang heuchelst du Interesse und Bedauern. Doch sobald es dir zuviel wird, blendest du einfach alles aus, was dich auf deinem Weg behindern könnte. Du bist so egoistisch, dass es schon bis zum Himmel stinkt!“
Arrow wankte zurück. Acedia hatte es tatsächlich geschafft, sie einzuschüchtern. Plötzlich machte sie sich Vorwürfe und begann sich zu schämen.
„Deine Freunde hast du einfach im Stich gelassen“, lastete ihr die Todsünde weiter an, „deinen Vater hast du im Stich gelassen und sogar mich hast du wie ein Stück Dreck behandelt. Zuerst hast du mich mitleidig angesehen und mir das Gefühl gegeben, dass du mir helfen würdest. Doch dann war ich für dich nur noch ein Mittel zum Zweck!“
Viele Gedanken schossen Arrow durch den Kopf. In gewisser Hinsicht hatte Acedia Recht. Arrow hatte Lizzy einfach so in Elm Tree zurückgelassen, obwohl sie mit ihrem Leben offensichtlich nicht im Geringsten glücklich war. Aber was hätte sie denn tun sollen? Lizzy in die andere Welt mitnehmen? Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, hatte sie Arrow für eine Hexe gehalten. Ihre Angst war so groß gewesen, dass Arrow befürchtet hatte, sie würde Tod umfallen, sobald sie sich in einer Umgebung voller Elfen, Zwergen und sonstigen magischen Kreaturen wiederfinden würde. Für Lizzy hatte sie damals nichts tun können. Man kann niemandem helfen, der keine Unterstützung annehmen will. Noch dazu hatte sie sich ihre Situation selbst zuzuschreiben. Adam hatte nach Hilfe gefragt. Und die hatte er auch bekommen. Natürlich hatte es Arrow das Herz gebrochen, als sie eines Tages feststellen musste, dass er in seinem Selbstvertrauen gebrochen war. Aber daran konnte keiner mehr etwas ändern. Die Vergangenheit ließ sich nicht korrigieren. Andererseits bedeutete das nicht, dass die Zukunft genauso werden musste. Was das anging, konnte Adam auf sie zählen.
Und ihr Vater? Den hatte sie nie im Stich gelassen. Während ihrer Zeit in Elm Tree hatte sie seiner Rückkehr stets entgegen gefiebert. Seinetwegen hatte sie den Holunderwald betreten. Natürlich hatte sie in ihrer Unwissenheit einen Fehler begangen, der nicht unwesentlich zum jetzigen Zustand beigetragen hatte. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Schon als kleines Kind hatte sie jeden Tag an ihn gedacht, und auch nach seinem Tod hatte sich daran nichts geändert. Er war in ihrem Herzen, mit jedem Atemzug, den sie machte. Allein deshalb wagte sie das Unmögliche und reiste in genau diesem Moment durch das Reich der Toten. Ihre Liebe ging über alle Grenzen hinaus und sie würde ihn niemals aufgeben, selbst dann nicht, wenn es dafür schon lange zu spät war.
Acedias Augen verengten sich. „Offenbar hast du für alles eine Ausrede. Nur ich bin in deinen Gedanken nicht aufgetaucht. Denn du weißt genau, dass du dein Verhalten mir gegenüber in keiner Weise rechtfertigen kannst.“
„Das muss ich auch nicht“, gab Arrow kühl zurück. „Ich kenne dich nicht und du liegst mir auch nicht am Herzen. Die, die ich liebe, sind mir wichtiger als die, die sich ihr Unglück selbst zuzuschreiben haben. Ich kann nicht leugnen, dass mich dein Anblick nicht zutiefst erschüttert hat. Aber dass du so bist, wie du bist, hast du nicht mir zu verdanken. Deshalb werde ich mir von dir ganz sicher keine Schuldgefühle einreden lassen.“
Acedia entglitten die Gesichtszüge. Dann verschwand sie.
Im Grunde war es nicht nötig gewesen, mit der Todsünde zu reden, als wäre sie eine ganz normale Person. Dafür, dass Acedia so war, wie sie war, konnte schließlich niemand etwas. Immerhin war sie die personifizierte Feigheit. Mit ihr Mitleid zu haben, war Zeitverschwendung. Doch Arrow hatte sofort gewusst, dass ihr Abbild nicht als Acedia vor ihr aufgetaucht war, sondern stellvertretend für all jene, die Arrow nur deshalb etwas vorwarfen, weil sie keinen anderen Sündenbock für ihr Unglück hatten. Lange Zeit hatte sie sich selbst dafür angeklagt, dass so viele Bewohner Nebulae Halls von der Wilden Jagd verschleppt worden waren, nachdem sie das Tor geöffnet hatte. Bestimmt war sie auch nicht die einzige, die sich die Schuld daran gegeben hatte. Der eine oder andere hatte sie mit Sicherheit dafür verflucht. Doch mittlerweile wusste sie, dass nur diejenigen Frau Perchtas Gefolge zum Opfer fielen, die es nicht anders verdient hatten. Spätestens, als ihr das
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