Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
bewusst geworden war, hatte sie aufgehört, sich das Unglück dieser vielen ihr unbekannten Leute zuzuschreiben.
Aber das war jetzt auch egal, denn sie musste weiter und durfte sich einfach nicht noch mehr von ihren Hirngespinsten ablenken lassen. So interessant es auch sein mochte, sich den eigenen Ängsten zu stellen, so hinderlich war es gegenwärtig auch.
Doch kaum, dass Arrow beschlossen hatte, sich nicht mehr auf derartige Unterbrechungen einzulassen, tauchte plötzlich wieder der kreischende Irre aus dem Ozean auf. Offenbar war er den Fängen des Finsterlings entkommen, denn er lief direkt auf sie zu, dicht gefolgt von seinem real gewordenen Alptraum.
Sie wollte gar nicht wissen, wie es sich anfühlte von einer Fantasie-Bestie verschlungen zu werden, und es war ihr auch egal, ob sie zwei Minuten später wieder am Leben sein würde. Vielmehr war es ihr lästig, dass sich dieser Typ ausgerechnet im gleichen Abschnitt des Chaos aufhalten musste wie sie. Dafür hatte sie einfach keine Zeit. Sie musste ihn loswerden.
Dieses Vorhaben gestaltete sich allerdings als sehr viel schwieriger denn zunächst angenommen. Aus ihr unerfindlichen Gründen kam ihr die Idee, sich hinter dem am Waldrand liegenden Felsbrocken zu verstecken und einfach abzuwarten, bis der Irre verschwunden war. Allen Erwartungen zum Trotz fand er sie aber und gesellte sich einfach zu ihr. Wie erstarrt hockte er hinter dem gewaltigen Stein, hielt die Hände gefaltet und murmelte ein unverständliches Gebet. Der Finsterling verharrte derweil auf der anderen Seite, und Arrow gefiel diese Tatsache überhaupt nicht.
„Verschwinde!“, fuhr sie den Fremden halblaut an. Er reagierte jedoch nicht und tat einfach so, als hätte er sie nicht gehört.
Wütend packte sie ihn am Kragen und zischte forsch: „Ich habe gesagt, du sollst verschwinden! Ich habe eigene Probleme, die es mir nicht erlauben, mich zusätzlich noch um die Sorgen anderer zu kümmern.“
Arrow wurde stutzig. Der Kerl schaute ihr direkt in die Augen, und doch fühlte es sich so an, als würde sie von einer Puppe angestarrt werden. Dann verschwand er plötzlich und mit ihm der Finsterling.
„Er war nicht real“, hörte sie auf einmal Harolds Stimme. „Nur ein Abbild deiner Fantasie. Er entstammt deiner Angst, abgelenkt zu werden.“
„Wo bist du?“, fragte Arrow stirnrunzelnd.
„Ich stehe genau neben dir, und ob du mich sehen kannst, liegt allein an dir.“
Arrow versuchte es. Sie wollte alle Gedanken aus ihrem Kopf verbannen, um ihrer Fantasie entfliehen und der Wirklichkeit wieder in die Augen schauen zu können. Doch das war gar nicht so einfach. Alles Mögliche und sogar Unmögliche spielte sich vor ihren Augen ab, doch es zeigte nicht das, was es zeigen sollte.
Dann tauchte der schlimmste ihrer Alpträume plötzlich vor ihr auf, die Merga.
„Beachte sie nicht“, redete Harold auf sie ein.
„Das sagt sich so einfach“, gab Arrow wenig begeistert zurück. „Wenn sie nur ein plumpes Trampeltier wäre, hätte ich auch sicher kein Problem mit ihr.“
„Dann hör eben auf, an sie zu denken!“
Arrow schüttelte den Kopf. Immerhin war es weitläufig bekannt, dass man gerade die Sache, der man seine Gedanken unter keinen Umständen widmen sollte, überhaupt nicht ausblenden konnte.
„Du musst dir einen Schutzwall errichten.“
„Und wie soll so was aussehen?“, fragte sie. Doch Harold antwortete nicht. „Bist du noch da?“, fragte sie verunsichert.
„Natürlich!“, erwiderte er schroff. „Ich denke nach.“
„Das solltest du mir vielleicht mitteilen! Immerhin mache ich mir gleich vor Angst in die Hose und kann schließlich nicht deine Gedanken lesen.“
„Ich kann das ebenso wenig! Trotzdem denke ich über eine Lösung nach, wie du dich sicherer fühlen könntest. Wie wäre es denn mit den Gargoyles?“
Arrow zögerte. „Hast du noch eine andere Idee?“
„Nein“, erwiderte Harold angespannt. „Etwas Anderes fällt mir momentan auch nicht ein. Und wenn du auch nichts anderes weißt, rate ich dir dringend, es mit den Gargoyles zu versuchen. Keylam hat ihnen auch immer vertraut!“
Obwohl Arrow noch immer keine Ahnung hatte, wer dieser viel gerühmte Keylam denn nun war, gab sie sich einen Ruck und folgte Harolds Rat. Augenblicklich tauchten die steinernen Kreaturen auf und bildeten einen Kreis um sie. Zwar verschwand die Merga dadurch nicht, doch Arrow fühlte sich tatsächlich besser.
„Ist alles in Ordnung?“
„Irgendwie schon“,
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