Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
kennen gelernt hatten. Trotzdem fühlte sie sich von Frau Perchta magisch angezogen.
„Frau Gaude hast du ja bereits kennen gelernt“, sagte Perchta und deutete auf den klapprigen Waldschrat mit dem geschmacklosen Geweihhelm. „Und mit meinem General“, fuhr sie fort, „hattest du ja auch schon vor längerer Zeit das Vergnügen.“
Aus dem Schatten der Bäume tauchte ein hässliches, gehörntes Wesen auf, bei dessen Anblick Arrow umgehend zurückzuckte. Wäre ihr die Stimme nicht in der Kehle stecken geblieben, so hätte sie auch geschrien, doch der Schock war einfach zu groß.
Aus dem Maul des hässlichen Wesens lugten unzählige schiefe Zähne hervor. Die Zunge hing ihm über das Kinn und der ganze Körper war mit dichtem, langem Fell bedeckt.
Viele Monate hatte es gedauert, um das abscheuliche Bild dieser abartigen Fratze nicht ständig vor Augen zu haben. Den Schock, als sie am Morgen nach der Wilden Jagd zum Bäcker aufbrechen wollte und dann schließlich vor der Haustür dieses Monster mit einem toten Hahn in der Hand erblickt hatte, würde sie ihr Lebtag nicht vergessen können.
„Du hast unseren Hahn auf dem Gewissen!“, war das Erste, das sie hervorbringen konnte.
Das Monster lachte.
„Du kannst also meinen Wald nicht betreten?“, fragte Frau Perchta erstaunt und lenkte somit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Dieser Zauber ist mir neu, obwohl ... wenn ich es recht bedenke, hat es vor dir nur wenige gegeben, die mein Reich freiwillig aufgesucht haben.“
„Aber es ist kein Zauber“, erwiderte Arrow. Dann fiel ihr das Treffen mit der Grünen Lady wieder ein und sie fügte rasch hinzu: „Glaube ich jedenfalls.“
„Zauber hin oder her“, sagte Perchta unbeeindruckt, „nun bist du hier und wir können mit den Gesprächen beginnen. Allerdings wirst du dich damit zufrieden geben müssen, dass wir an der Grenze reden, denn zum jetzigen Zeitpunkt kann ich den Wald nicht verlassen.“
Sie rammte ihr Zepter in den Boden und ohne jede Vorwarnung begann die Erde zu beben.
„Komm mit“, sagte Frau Perchta, als sie wieder auf ihr Ungeheuer kletterte. „Verhandlungen führt man für gewöhnlich an einem Tisch, und der wartet bereits am Ende des Weges.“
Während die Herrscherin des Holunderwaldes auf ihrem Monster voran ritt, trennte sich der Wald vor ihr und gab somit einen Pfad in das Innere preis.
„Jetzt geh schon!“, herrschte Frau Gaude Arrow an. „Nur weil sie für dich die Grenze des Waldes verschiebt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch den ganzen Tag auf dich warten wird!“
Nur zögerlich kam Arrow dieser Anweisung nach. Whisper, der ihr nicht von der Seite wich, stupste Trost spendend mit seinem weichen Maul gegen Arrows Arm. Inzwischen kannte sie diese Geste und war dafür mehr als dankbar, denn es bedeutete „Ich bin da – wir stehen das gemeinsam durch“.
Der Wald wirkte unheimlich. Obwohl Arrow von dieser Seite der Grenze nicht erkennen konnte, was zwischen den Bäumen geschah, sah sie überall die Bewegungen gruseliger Schatten im Gestrüpp. Gelegentlich ertönten auch Schreie, die sich irgendwann in der Welt der Verdammten verloren. Arrow bekam eine Gänsehaut. Ihr Kopf sagte ihr zwar immer wieder, dass es zwischen den dunklen Stämmen der toten Bäume Kreaturen gab, die dieses Schicksal verdient hatten, doch ihre Stimmen waren in keiner Weise von den Klagerufen Unschuldiger zu unterscheiden.
An einem gewaltigen Baumstumpf im Inneren des Waldes hielt Frau Perchta an, kletterte wieder von ihrem Ungeheuer und nahm auf der gegenüberliegenden Seite des Stumpfes Platz. Dann deutete sie mit einer Geste an, dass Arrow sich ebenfalls setzen sollte.
Der Baumstumpf war mit Kratz- und Blutspuren übersät. Unweigerlich lief Arrow ein kalter Schauer über den Rücken, was nicht unbedingt zur Entspannung beitrug. Aber immerhin hatte es auch etwas Beruhigendes, dass Arrow den Wald nicht betreten konnte. Wer wusste schon, was dort drinnen passiert wäre und ob es sie womöglich vielleicht sogar verrückt gemacht hätte.
Ein sich näherndes Flattern ließ Arrow aufschrecken, und als eine Eule auf der Lehne ihres Stuhls Platz nahm, blieb ihr beinahe das Herz stehen.
„Grey“, stieß Arrow erleichtert aus. „Musst du mir einen solchen Schrecken einjagen?“
„Sie gehört zu dir?“, fragte Frau Perchta misstrauisch.
Arrow nickte. „Ich habe nicht gewusst, dass sie mir folgen würde.“
Skeptisch beäugte Perchta die Schleiereule. Das Tier schien ihr nicht
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