Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Arrow ihren Blick. „Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als ihn noch ein letzten Mal umarmen und ihm sagen zu können, wie sehr ich ihn liebe“, sagte Arrow mit zitternder Stimme. Und obwohl Dewayne um ihre schmerzliche Trauer des nahen Verlusts wusste, war ihm gleichzeitig bewusst, dass dieser Wunsch nicht Keylam galt.
„Arrow, du hast es ihm doch gesagt – immer und immer wieder. Sogar in den letzten Momenten seines Lebens bist du nicht müde geworden, es ihn wissen zu lassen.“
Verzweifelt schaute sie ihren Bruder an. „Aber es war nicht das Gleiche“, erwiderte sie mit bebender Stimme. „Nicht ihm habe ich es gesagt, sondern seinem Nyriden, und du kannst dir nicht vorstellen, wie unwirklich sich das alles angefühlt hat. Ja – er hat genauso ausgesehen wie Dad, doch da war keine Hoffnung in ihm. Es gab nichts, das es je vermocht hatte, ihn glücklich zu machen. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt gewusst hat, wer ich war.“
Noch einmal nahm Dewayne seine Schwester tröstend in die Arme und wartete geduldig, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Dabei ließ er seinen Blick noch einmal durch das kleine Zimmer schweifen. „Bist du sicher, dass du hier schlafen möchtest?“, fragte er fürsorglich.
Traurig blickte Arrow zu der Stelle, an dem sie Keylams Asche zusammengesammelt hatte. Mit einem kraftlosen Nicken antwortete sie: „Ich möchte hier sein, wenn er zurück kommt.“
Sowohl sie selbst als auch Dewayne waren sich bewusst, dass dies nicht geschehen würde. Doch mittlerweile war Arrow für weitere Gespräche einfach zu schwach.
Ohne jede Vorwarnung öffnete der Elf das kleine Beutelchen, streute dessen Inhalt vollständig auf seine Hand und blies Arrow das Pulver ins Gesicht. Gerade merkte sie noch, wie sie sanft in das Bett gelegt und zugedeckt wurde. Dann war sie eingeschlafen.
Keylams Geschenk
Arrow erwachte mitten in der Nacht. Ihr Körper war von dem wohltuenden Schlaf, den ihr das Schlafpulver beschert hatte, angenehm entspannt. Eine ganze Weile lag sie regungslos in ihrem Bett und betrachtete dabei abwechselnd die Schneeglöckchen und die verkohlte Stelle im Boden. Das Toben der Wilden Jagd nahm sie nur am Rande wahr und genoss diesen ansonsten stillen Moment, in dem ihr ausnahmsweise nicht unzählige Gedanken wie eine Schar schnatternder Gänse durch den Kopf jagten. Eine gute Stunde später hatte sich die Wirkung aufgehoben. Um dem endlosen Fluss des Nachdenkens entrinnen zu können, verließ sie ihr Bett und erschrak, als daraufhin ein dumpfes Knurren ertönte. Die dicke Federdecke begann zu zittern und im nächsten Augenblick schauten ihr darunter zwei leuchtende Knopfaugen und ein spitzes Näschen entgegen.
Gerührt kniete Arrow sich vor das Bett und schob die Federdecke vorsichtig beiseite. Auch dieses Mal ergriff Pex nicht sofort die Flucht, sondern wandte sich Arrow zu und beschnupperte ihr Gesicht. Völlig ergriffen von dieser zutraulichen Geste ließ sie den kleinen Polarfuchs gewähren, und als dieser seine Schnüffelaktion beendet hatte, streckte sie sanft ihre Hand nach ihm aus, um ihm den Kopf zu streicheln. Es war ein tolles Gefühl, denn es bedeutete Vertrauen.
Als Arrow sich wieder erhob und mit dem Kerzenleuchter in der Hand das Turmzimmer verlassen wollte, sprang Pex aus dem Bett und eilte ihr nach. Arrow freute sich über diese angenehme Gesellschaft.
Zuerst schlichen sich die beiden in die Küche, wo Arrow sich eine Kanne Melissentee brühte. Zusammen mit dem dampfenden Gefäß begaben sie sich in die Bibliothek. Zu Arrows Überraschung fanden sie dieses Mal niemanden dort vor – weder schlafend noch wachend.
Auf dem großen Sekretär stellte sie den Kerzenleuchter ab, griff in eine hölzerne Kiste und entnahm ihr eine Hand voll Pulver, welches sie kreuz und quer durch die Luft pustete. Wenige Augenblicke später erglimmten tausende kleiner Lichter, die überall umherschwirrten.
Anschließend entzündete sie ein Feuer im großen Kamin, womit Marb und ihre Kinder nicht lange auf sich warten ließen.
Die speisenden Glühwürmchen und die flackernden Flammen verwandelten die Bibliothek in ein verzaubertes Reich. Riesige, übervolle Bücherregale türmten sich bis unter die Decke. Die obersten Regale konnte man nur über die reichlich verzierten Holztreppen erreichten, welche sich durch den gesamten Raum schlängelten. Kein anderes Zimmer im Schloss war so hoch, denn bei der Restaurierung hatte Keylam dort die Decken über mehrere Stockwerke
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