Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
du in der letzten Nacht überhaupt etwas Schlaf finden können?“, fragte Anne besorgt und strich ihr die wirren Strähnen aus dem Gesicht.
Arrow schüttelte den Kopf. „Einerseits habe ich mich gefühlt, als würde ich schlafen, doch andererseits habe ich jedes Knacken der Holzscheite und alles andere um mich herum mitbekommen.“ Arrow erschauderte. „Und wenn wir das nächste Mal alle vor dem Kamin einschlafen“, richtete sie das Wort an Adam, „dann klebe dir gefälligst ein Pflaster auf den Mund. Wie du weißt, habe ich Harold schon einmal nackt gesehen, und die Erinnerungen an seinen … göttlichen Körper durch detaillierte Beschreibungen wieder hoch zu holen, während draußen die Dämonen von Frau Perchta toben, unterstützen mich nicht unbedingt bei meiner Suche nach friedlichem Schlaf.“
Adam lief kirschrot an.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Harold ihn entgeistert. „Da gibt es nichts, wofür du dich schämen müsstest. Göttlicher Körper – hat sie selbst gesagt.“
„Das waren nicht meine Worte, du selbstgefälliger Schlaffa …“ Arrow brach mitten im Wort ab. Sie räusperte sich kurz und fuhr dann fort. „Das waren nicht meine Worte. Ich habe nur wiederholt, was Adam so nett beschrieben hat.“
Während Adam beschämt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, grinsten Sally und Dewayne amüsiert in sich hinein. Neve hingegen war schockiert über so viel Offenheit am Frühstückstisch.
Erfolglos versuchte Sally ein Lachen zu unterdrücken. „Hey Adam – stille Wasser sind tief oder wie?“ Kaum, dass die Worte ausgesprochen waren, mussten sie und Dewayne losprusten.
Harold erhob sich würdevoll von seinem Platz und verließ – übertrieben mit dem Hintern wackelnd – den Raum. Bevor er durch die Tür trat, warf er Arrow noch einen prahlerischen Blick zu und verschwand anschließend.
„Ist mir schlecht“, bemerkte Arrow bleich.
„Ich sage es dir nur ungern, Kindchen, aber in diesem Wettbewerb wirst du so oder so den Kürzeren ziehen“, sagte Sally. „Seitdem der gute Adam bei uns lebt, ist er wie ausgewechselt, und ich danke sowohl ihm als auch dir sehr dafür. Ich hatte schon fast vergessen, wie Harold aussieht, wenn er glücklich ist.“
Unweigerlich stiegen die Bilder der nächtlichen Begegnung in Arrow hoch. Sie schüttelte sich. „Des einen Glück ist des anderen … Brechreiz ...“, murmelte sie vor sich hin.
Als alle mit dem Frühstücken fertig waren, schickte Anne die völlig übermüdete Arrow ins Bett und übernahm das Abräumen selbst. Flink nahm sie Dewayne beiseite und reichte ihm ein kleines Beutelchen. „Gib ihr das“, forderte Anne ihn auf.
Eindringlich musterte der Elf sie. „Schlafpulver? Anne, so kann das nicht ewig weitergehen. Dieses Pulver ist auf die Dauer nicht gesund.“
Besorgt schlug die alte Frau ihre Augen nieder. „Ich weiß. Doch nicht zu schlafen, ist ebenso wenig gesund, und im Moment habe ich keinen anderen Rat.“
Resignierend nahm Dewayne ihr das Beutelchen ab und verließ die Küche. Als er das Turmzimmer erreicht hatte, hörte er gerade noch die Tür zufallen. Er klopfte kurz an und wartete höflich, bis Arrow ihn hinein bat.
Sie sah kraftlos aus. Ihr langes Haar hing glanzlos und schlaff über ihre Schultern. Ihre Augen hatten jeglichen Glanz verloren und waren ganz blutunterlaufen. Unter ihnen hatten sich breite, schwarze Ringe gebildet. Arrows Haut war blass und insgesamt wirkte ihre ganze Erscheinung, als wäre sie eine zu früh verstorbene Verbannte, direkt dem Reiche Frau Perchtas entsprungen. Dennoch schenkte sie ihrem Bruder ein Lächeln.
Dewayne zerriss es fast das Herz, seine Schwester so sehen zu müssen, und er fragte sich, ob es ihr wohl nach Melchiors Tod ähnlich ergangen war. Der Gedanke, dass sie sich möglicherweise auf die gleiche Art und Weise monatelang völlig allein – mit Ausnahme von Whispers Gesellschaft – durch die Weltgeschichte getrieben hatte, machte ihn ganz krank vor Schuldgefühlen.
Ausgelaugt saß Arrow auf dem großen Bett und ließ ihre Beine leblos über die Kante hängen. Früher hatte sie nie etwas derart lustlos getan. Seit jeher hatte sie es geliebt, sich auf Tische oder andere Möbelstücke zu setzen, um dann ausgiebig mit ihren Beinen herum zu baumeln. Diese Zeiten gehörten offenbar der Vergangenheit an.
„Hey“, murmelte Dewayne verlegen. „Ich wollte fragen, ob du noch irgendwas brauchst.“
Arrow schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich denke
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