Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
sanfte Stimme in Arrows Kopf half ihr, sich zu beruhigen. Die Nymphen reichten ihr ein Getränk aus Melissenextrakt, das ihrer Aussage nach eine entspannende Wirkung haben sollte. Perseis hatte sich in den Finger gestochen und ließ derweilen ihr Blut über das Papier laufen. Eine Karte zeichnete sich wenig später darauf ab, und schon allein auf der Abbildung wirkte der Ort, an den sie führen sollte, trostlos und unheilvoll. Die Göttin reichte sie Arrow, und während diese das Papier näher betrachtete, schlich ein ungläubiger Ausdruck über ihr Gesicht. „Das ist unser Schloss“, murmelte sie. „Bist du sicher, dass dies der richtige Weg ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von dort aus in die Unterwelt gelangt.“
„Auf normalem Wege nicht“, entgegnete Perseis. „Mit dem richtigen Schlüssel kannst du von überall aus dorthin gelangen.“
„Und was für ein Schlüssel ist das?“
„Einer, den du dir selbst schmieden musst.“
Perseis gab Arrow zwei Karten mit auf den Weg. Eine davon wies den Weg in die Unterwelt und die andere führte wieder hinaus.
„Das zweite Papier wird dich an den Ort in dieser Welt zurückgeleiten, an dem du sie mithilfe des ersten verlassen hast.“
Etwas wehleidig zog Arrow sich wieder ihre zwischenzeitlich getrockneten Kleider über, denn sie wusste genau, dass sie ohnehin gleich wieder nass werden würden.
Mit traurigem Blick wurde sie bereits von der Göttin am Wasser erwartet. „Es war schön, dich kennen gelernt zu haben, Arrow Fall. Vielleicht findest du eines Tages noch einmal den Weg in meine Hallen. Es wäre mir eine Freude.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, entgegnete Arrow verlegen und schaute beklommen zum Wasser.
„Was ist?“, fragte Perseis lächelnd. „Dich wird doch am Ende nicht der Mut verlassen?“
Betrübt senkte Arrow den Blick. „Nun hast du mir so viele Rätsel mit auf den Weg gegeben, dass ich das Gefühl habe, noch weniger zu wissen als vor meinem Besuch.“
Ohne jede Vorwarnung legte Perseis ihre Hände um Arrows Nacken und küsste sie. Ihre Lippen waren so weich wie die Schirmchen einer Pusteblume. Kleine Flämmchen kitzelten Arrows Mund so zart, dass es ihr durch den ganzen Körper fuhr. Perseis schmeckte nach Sonnenschein und duftete nach Rosen und ihre Haut war geschmeidig wie die zerbrechlichen Blüten einer Mohnblume.
Es war ein überaus leidenschaftlicher Kuss, aus dem Arrow sich nicht mit eigenen Kräften hätte befreien können – weil sie es nicht wollte. Und als sich die Göttin von Arrows Mund löste, fuhr sie sich mit der Zungenspitze genüsslich über ihre Lippen, als hätte sie vom Nektar eines reifen Pfirsichs gekostet.
„Dein Schicksal schmeckt süß und salzig zugleich“, flüsterte Perseis mit geschlossenen Augen. „Aber da ist auch noch etwas Anderes. Etwas, das ich noch nie zuvor gekostet habe. Es ist rein und unverdorben. Die Macht gänzlich jungfräulicher Unschuld in einem einzigen Kuss.“
„Du irrst dich“, erwiderte Arrow beinahe gereizt. „Nichts an mir ist unschuldig, und ich bin auch nicht danach bestrebt, das zu ändern.“
Perseis‘ Lippen formten sich zu einem kühnen Lächeln. „Du sprichst diese Worte mit Bitterkeit in deinem Herzen, und trotzdem bist du überzeugt von dem, was du sagst. Doch achte auf deine Arroganz. Der Betrachter sieht immer mehr als der Betrachtete.“
Aus dem Wasser tauchte der Kopf des eigenartigen Pferdchens auf, welches zweifellos erschienen war, um Arrow wieder zur Oberfläche zurück zu bringen.
„Mein Hippokamp wird dich sicher an Land geleiten. Von dort aus bist du wieder dir selbst überlassen.“ Melancholisch strich sie Arrow über die Wange. „Pass gut auf dich auf. Ich zähle darauf, dich eines Tages wieder sehen zu dürfen.“ Und bevor Perseis ihr einen weiteren Kuss geben konnte, wandte Arrow sich ab, denn sie wusste, dass sie den sinnlichen Reizen der Göttin kein zweites Mal würde entrinnen können. Geschwind setzte sie das Haus der Zwillingsschnecke wieder auf ihren Mund und ließ sich von dem Pferdchen davon tragen.
Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch ließ Arrow das Reich von Perseis hinter sich. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie von einer Frau geküsst worden. Auch wenn es sehr überraschend kam, hatte es sich dennoch ausgesprochen angenehm und sogar verlockend angefühlt. Und obwohl sie nie zuvor darüber nachgedacht hatte, wie sich die Lippen einer anderen Frau wohl anfühlen mochten, entfachte diese Erfahrung
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