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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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einen Moment in sich gehen … Vielleicht kann ich dir ja sogar irgendwie nützlich sein … Dieser Satz war typisch für Mamoune und würde Jade die Tränen in die Augen steigen lassen. Sie stellte sich vor, wie die rundliche kleine Mamoune in ihrem blauen Kleid mit hochgezogenen Brauen überlegte, zu was ihr unbedeutendes Leben wohl noch gut sein könnte, als wäre sie ein Gegenstand, der auf den Müll geworfen werden sollte, und es würde ihr vollkommen ernst sein damit.

Mamoune
    I ch habe solche Angst, schusselig zu werden und nicht mehr in der Lage zu sein, mich selbst um meine bescheidene Existenz zu kümmern. Bis zum heutigen Tag hat mir das Schicksal nicht alles gegeben, mir aber das Wesentliche gewährt. Dinge, auf die ich gar nicht gehofft hatte, was eine Entdeckerlust in mir stillte, von der ich nichts ahnte. Sicher würden viele sagen, was mir heute passiert, sei doch vorhersehbar gewesen. Damals in der Fabrik gab es eine Afrikanerin, die alle Mütter warnte: »Schlaf bei deinen Kindern, solange sie klein sind, sonst werden sie sich nicht um dich kümmern, wenn du alt bist.« Damals hatte ich noch keine Kinder. Ich muss ihren Rat vergessen haben, denn heute stelle ich fest, dass ich wohl nicht oft genug bei meinen Kindern geschlafen habe.
    Ich nehme es ihnen nicht übel. Ich glaube, ich kann sie sogar verstehen. Was sollen sie auch mit mir anstellen? In meinem Alter bin ich eine Last, schlimm genug, dass es so weit kommen konnte. Ich bin nicht nur alt und müde, jetzt kann’s mir auch noch passieren, dass ich in Ohnmacht falle. Was kommt als Nächstes?
    Ich liebe den Blick aus meinem Küchenfenster hinaus in den Garten. Er hat sich verändert, seit Jean nicht mehr da ist, aber ich werde nicht müde, die Vögel zu beobachten, wenn ich das Geschirr abwasche. Wir beide haben uns so gut ergänzt, jeder in seinem Schweigen. Er kümmerte sich bis in den Herbst hinein um die Erde. Wennes dann Winter war, betrachtete ich morgens bei meinem ersten Kaffee die kahlen Sträucher und stellte mir vor, mit welchen Farben ich unseren Garten im Frühling schmücken könnte. Jeden Morgen flüsterte die schwarze Erde mir etwas Neues ein: gelbe oder rote Tulpen, Forsythien, Klematis, Primeln … Ein Schauspiel von Farben und Formen, und dann kam der Tag, an dem wir das Saatgut kauften. Einige Wochen später wartete ich voller Ungeduld darauf, dass der Garten Jean enthüllte, für welche Farben ich mich entschieden hatte. Hätte nicht der Wind meinen Plan durchkreuzt. In der Blütezeit sorgte er stets für Überraschungen. Ich schimpfte zwar ein bisschen, doch mir gefiel die Idee, dass ein unvorhergesehener Luftzug meinem Garten sein wildes Aussehen verlieh.
    Der Frühling beginnt. Als hätte ich geahnt, dass man mich aus meinem Haus holen würde, habe ich in diesem Jahr nichts gesät. Dabei hatte ich mir seit Jeans Tod Mühe gegeben, das durchzuhalten. In jedem April, es waren ja erst drei, erwachte unser Garten wieder in neuer Pracht. Ich glaubte sogar, Jeans Tod damit eine besondere Würdigung angedeihen zu lassen. Wenn meine Nachbarinnen vorbeikamen, waren sie beruhigt, dass ich das Gärtnern nicht aufgegeben hatte, und gratulierten mir zu meinem grünen Daumen. Niemand sah darin die Botschaft, die ich von dem Abwesenden empfing: dass ich unseren schönen Garten fortan allein bewundern musste.
    In Jeans Gegenwart war so viel Einverständnis. Im Laufe der Jahre hatte sein Mund sich in einen blassen Strich verwandelt, der von zurückgehaltenen Gefühlen erzählte. Meiner aber war immer noch sinnlich gewölbt,bewahrt durch dahingesagte Harmlosigkeiten, die zu nichts führten. Die Haut der Babys, die zärtlichen Umarmungen der Kinder hatten ihm eine Geschmeidigkeit verliehen, die wie das Fleisch einer Frucht an der rauen Wange dieses emsigen Arbeiters zerplatzte, der meine täglichen Liebkosungen mit kumpelhaftem Lächeln beantwortete.
    Ich glaube, als mich dieses Unwohlsein überkam, das man mir nun offenbar zum Vorwurf macht, habe ich von Jean geträumt. Nein, ganz so war es nicht. Ich hatte gerade Müll hinausgebracht. Es war ein nasskalter Wintertag, und ich hatte beschlossen, mir eine heiße Milch zu bereiten. Dann ging ich zurück in die Küche. Ich merke, dass ich ein bisschen schummle: Mein Gedächtnis erfindet einen Ablauf, wo nur Leere herrscht. Die Wahrheit ist, dass man mich am nächsten Tag auf dem Fußboden vor dem Kühlschrank fand. Ich wäre froh, wenn ich sagen könnte, ich hätte etwas gespürt. Ich muss

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