Fruehstueck mit Proust
liebevoll, von einschmeichelnder Zärtlichkeit, und ihr Lachen war ein ansteckender Gesang, dem man sich kaum entziehen konnte.
Jade erinnerte sich, dass ihre Großmutter die Tochter eines Bauern und einer Hebamme war. Als Mamoune ihr einmal das Hochzeitsfoto ihrer Eltern zeigte, fand Jade,dass sie sehr alte Gesichter hatten, obwohl sie aussahen wie fünfzehn. Er mit dem kleinen Schnauzbart, den die Bauern zu Beginn des Jahrhunderts trugen, sie mit Dutt und sehr ernster Miene. Damals lächelte man nicht auf Fotos. Ihre Tochter Jeanne hatte als junges Mädchen am Fließband gearbeitet. Aber warum war es Jade überhaupt so wichtig, sich zu erinnern, wer Mamoune oder auch Jeanne war? Der Wunsch, sie vor ihrem Los zu bewahren, sollte doch genügen. Nur darum ging es. Oder?
Jeanne hatte ihren Mann Jean in der Fabrik kennengelernt, in der sie beide arbeiteten. Damals war sie noch sehr jung. Mit ihren sechzehn Jahren war sie fasziniert von dem dunkelhaarigen jungen Mann mit dem kantigen Gesicht, der sich so gut in den Bergen auskannte und gar nicht für Mädchen zu interessieren schien. Trotzdem machte er ihr den Hof. Nach ihrer Hochzeit kümmerte sich Jeanne anfangs um die eigenen Kinder, dann auch um die anderer Leute. Sie hatte immer eine ganze Rasselbande zu Hause, und sie wusste ihr Regiment zu führen, ohne je laut zu werden. Mamoune – so hatten die Kinder sie getauft – war lieb und nachgiebig, aber die Kinder gehorchten ihr. Jeanne hatte ihre ganz eigene Art, Trotzköpfen ihre Launen abzugewöhnen: durch Nähe und zärtliche Blicke. Ihre Augen waren ein blaues Lächeln mit grauen Pünktchen, das jeden, der es wagte, sich ihr zu widersetzen, unmittelbar in einer Art Scham versinken ließ. Jean musste viel schuften und kam erst spätabends nach Hause. Er verlangte von seinen Sprösslingen, dass sie sich in der Schule anstrengten, denn sie sollten das Arbeiterdasein hinter sich lassen und eines Tages studieren. Was seine drei Töchteranging, von denen zwei Rechtsanwältinnen wurden und die dritte Ärztin, hatte er dieses Ziel stolz erreicht. Aber Serge, sein einziger Sohn und Jades Vater, musste den Rebellen spielen und wurde Maler. Er lebte weit weg, auf einer abgeschiedenen kleinen Insel, zusammen mit Jades Mutter, einer extravaganten Künstlerin, die ebenso aufsässig war wie er.
Mamounes Mann war drei Jahre zuvor an einem Herzinfarkt gestorben und hatte seine Frau, die an seiner Seite so souverän gewesen war, völlig hilflos zurückgelassen. Sie schien mit Jean einen Teil von sich selbst beerdigt zu haben.
Der Umzug ins Pflegeheim war für Samstag geplant, Jade hatte sich überlegt, dass sie am Freitagmittag, also am nächsten Tag, bei Mamoune aufkreuzen wollte. Da blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken … Am liebsten hätte Jade ihre Großmutter gleich nach dem Anruf ihres Vaters geweckt und in ihre geheimen Pläne eingeweiht: Ich komme dich holen! Damit Mamoune aus der so angekündigten Entführung heraushörte, was sie bereits erraten hatte. Ihre Töchter hatten ihr das Ganze arglistig als »Probewohnen« verkauft, weil sie Mamoune schließlich irgendwie erklären mussten, warum sie all ihre Lieblingssachen mitnehmen sollte. Sie hatten behauptet, es sei ja nur vorübergehend, eine reine Reha-Maßnahme, und Mamoune war schlau genug gewesen, ihnen vorzugaukeln, dass sie es glaubte. Doch die Zeit drängte, und wenn sie ihr Haus schon verlassen musste, dann sollte sie doch lieber zu Jade kommen. Du kommst eine Weile zu mir nach Paris, und dann überlegen wir, ob du bleibst oder nach Hause zurückkehrst, und unter welchen Bedingungen.Das wollte Jade ihrer Großmutter sagen. So würde sie ihr nicht verheimlichen, dass ihr Zustand immerhin so ernst war, dass sie in ein Heim eingeliefert werden sollte, und konnte doch alle persönlichen Fragen mit ihr besprechen. Diese Transparenz und Offenheit würde sie zu schätzen wissen. Bestimmt würde Mamoune, die seit Jahren nicht mehr nach Paris kommen wollte, sich nicht lange bitten lassen. Wenigstens hoffte Jade das … Sie war die Tochter ihres geliebten Serge, und unter den gegebenen Umständen würde Mamoune sich für sie entscheiden.
Jade wusste schon, was Mamoune sagen würde. Was mich an diesen Häusern – Mamoune würde sie nicht beim Namen nennen – am meisten stört, sind die vielen Alten. Ja, sicher, ich bin auch nicht mehr die Jüngste, aber wenn man mit mehreren Generationen zusammenlebt, altert man, glaube ich, nicht so schnell … Sie würde
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